Die heutige dritte Etappe der West-Ost Transversale ist etwas verkürzt. Sie beginnt anstatt in Derborence auf dem Sanetschpass und führt über die Wasserscheide Arête de l’Arpille in ein wild-einsames Hochtal. Über einen Kraxelpass erreichen wir im Hinterhof des Wildhorns die an einem See gelegene Cabane des Audannes.
Freude herrscht, als ich Rico fast auf den Tag nach einem Jahr wieder am Bahnhof Sion treffe. Er wird mich die nächsten drei Tage auf der W-O-T begleiten, genauso wie letztes Jahr auf der O-W-T. Diesmal steht „nur“ Alpinwandern auf dem Programm, letztes Jahr waren es Hochtouren. Das Postauto bringt uns in 75 Minuten auf den Sanetschpass, der dank des gleichnamigen Stausees auf der Berner Seite des Passes öV-erschlossen ist (2x pro Tag). Ich habe deshalb auf den Aufstieg von Derborence verzichtet. Stattdessen schlief ich eine Nacht wohlig im Hotel und kann mich heute erst noch für die morgige, lange Etappe zur Engstligenalp schonen.
Gleich auf dem Pass beginnt die Arête de l’Arpille. Der Pfad folgt diesem aus feinem Kies wohlgeformten Grat bis zum Gipfelfuss des Arpelistocks, dem westlichsten Gipfel des Wildhornmassivs. Die Aussicht ist grossartig. Hinter uns die Diablerets mit dem ausladenden Tsanfleuron-Gletscher und dem eleganten Oldenhorn, links unten der Stausee mit dem Spitzhorn, dahinter der Fernblick in die Gstaader und Freiburger Dolomiten, rechts die endlose Reihe Walliser 4000er von Weissmies bis Grand Combin und das Mont Blanc Massiv.
Bei der Weggabelung zum Arpelistock machen wir Pause, geniessen das Panorama und haben uns viel zu erzählen. Danach beginnt hier Neuland für mich. Das wilde Hochtal der Grand Gouilles kenne ich nämlich nur von oben – von den nördlich gelegenen Gipfeln meiner Lauener Hausberge Arpelistock, Geltenhorn und Wildhorn. Ich freue mich, es heute endlich einmal zu durchwandern – und es übererfüllt meine Erwartungen. Einer Mondlandschaft gleichend, mit kleinen Seen und kecken Felsnasen, Murmeltieren und wetterfesten Blümchen. Sehr, sehr einsam. Sehr wild, sehr schön.
Wir verlieren im leichten Auf und Ab nur etwa 150 Höhenmeter bis wir am Fuss des eindrücklichen Nord-Süd-Felsriegels stehen, der vom Wildhorn über rund acht Kilometer Länge bis zum Prabé oberhalb Sions reicht. Er kann über den Col des Audannes überschritten werden, wobei „Pass“ eigentlich das falsche Wort ist. Es ist nichts anderes als eine Stelle auf dem Grat, wo die Felsen passierbar sind.
Wir gehen die scharfe Steigung – 400Hm über Schutt – langsam an. Die Sonne brennt, es ist Mittagszeit. Zwischendurch holen wir etwas Luft und machen Fotos. Das – vermeintlich – letzte, sehr steile Stück vor dem Übergang ist mit Seilen gesichert, an denen ich mich gerne hochziehe. Aber da ist noch nicht der Pass… es folgt noch eine kurze Querung (zum Glück ist das Schneefeld gerade genug abgeschmolzen, sonst Steigeisen notwendig) und dann lädt ein mit Leitern und Stahlsprossen ausgestatteter Klettersteig dazu ein, sportlich einen Felsriegel zu überwinden.
Dann stehen wir an einem windigen, exponierten Punkt auf fast 2900m Höhe, der uns staunen lässt – der Col des Audannes. Die neue Geländekammer sieht komplett anders aus. Kleine Seelein grenzen weiter unten an den Rand der soeben überwundenen Steilwand. Das weite Tälchen ist unten sogar teilweise grün. Und über uns thronen Pucel und Wildhorn mit ihren vorgelagerten Gletschern.
Zuunterst in diesem Talkessel liegt ein See und daneben erkennen wir schon bald unser Tagesziel. Der Abstieg über Schotter, Gletscherschliff und Felsbänder ist angenehm, und so sitzen wir schon bald auf der Terrasse der Hütte mit Kaffee und Kuchen.
Wir haben viel Zeit. Zum Glück sind Hüttenteam und Gäste humorvoll und nett, und zu voll ist es auch nicht in der gemütlichen Hütte. So schlafe ich denn tatsächlich einmal wirklich gut in meiner Koje.
Tourdatum: 11. August 2021
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Danke für den schönen Bericht und die wundervollen Fotos. Ich habe Anfang Juli die Tour in umgekehrter Richtung gemacht. Und der Col des Ausdannes war auf der Sanetschseite (bei der Querung nach den leitern) nur mit Steigeisen machbar.
Eine kleine Bitte: Du schreibst von „Fribourger Dolomiten“. Als gebürtiger Freiburger eines zweisprachigen Kantons stört mich diese Zwitterformulierung: Endweder kannst du deutsch „Freiburger“ oder dann französisch „Fribourgois“ schreiben. Niemand würde etwa „Genèver“ oder „Neuchateler“ schreiben, sondern das sind Genfer und Neuenburger oder hier die (schönen) „Freiburger Dolomiten“.
UNd ich freue mich auf weitere schöne Berichte.
Du hast völlig recht mit den Freiburgern! Guter Punkt!
und du hast es gleich noch korrigiert. Vielen Dank.
Lieber Edwin
Dass ich diese Tour in zwei Minuten Lesezeit miterleben durfte… inklusiv Durchwanderung einer Mondlandschaft… dafür danke ich dir!
Weiterhin alles Gute und ich freue mich immer von dir zu lesen!
LG
Benno