Kaum zu glauben: Am 5. Dezember kann ich nochmals zu einer einsamen Bergwanderung aufbrechen, die mich praktisch schneefrei auf über 2000m ü M. führen wird. Es ist warm und windstill. Aber nicht überall: bis 1200m herrscht zäher, kalter Hochnebel.
Das Ziel ist die Pilatuskette. Da die Bahn nicht mehr fährt, und ich an der Sonne beginnen will, fahre ich das Strässchen von Alpnach hoch, so weit es geht. Das Fahrverbot beginnt beim Schybach, auf 1200m ü. M. Wie bestellt endet die Nebeldecke genau hier. Die mit Wassertröpfchen gesättigte Luft lässt mich frösteln, ich ziehe den Reissverschluss meines Anoraks bis zum Hals hoch. Doch schon nach zehn Minuten Laufzeit und etwas mehr Höhe macht die Feuchtigkeit Platz für die wohlige Sonnenwärme. Das setzt Glückshormone frei, auch mein Fleece verschwindet gleich im Rücksack.
Schon bald zweigt der Pfad vom Fahrsträsschen ab, über steile Wiesen gewinne ich rasch an Höhe und erreiche bald die einsamen Weiten des flachen Gratpasses. Jetzt zweige ich nach rechts ab, das erste Tagesziel ist das Widderfeld, der südlichste Gipfel des Pilatusmassivs. Das Gelände auf dem Gratrücken gleicht anfänglich der Taiga: Gras, Gräben und krüpplige Nadelbäume. Der Weg ist hart gefroren, erst auf dem Rückweg wird die Sonne hoch genug stehen, um den Boden etwas aufzuweichen. Etwas Vorsicht ist geboten.
Einfacher gesagt als getan, denn die Aufmerksamkeit wird stark beeinträchtigt durch die unglaublich eindrücklichen Bilder, die sich hier oben ergeben. Links und rechts das gigantische Nebelmeer, das im Mittelland unendlich scheint, da auch die Jurahöhen ganz eingedeckt sind. Dann die Alpenkette vom Säntis bis zum Berner Oberland, weiss leuchtend der frische Schnee auf den Nordflanken der Berge. Auch auf der Nordseite der Pilatuskette liegt Schnee, aber der südgerichtete Grat dampft wohlig in der warmen Dezembersonne.
Auf bald 2000m ü. M. führt die Route entlang der steilen Südflanke. Mir wird klar, warum der Gipfel „Widderfeld“ heisst. Das schwer zugängliche Schrofengelände östlich des Grats ist mit sonnenbadenden Steinböcken überfüllt. Sie schauen mich etwas irritiert an. Sie sind wohl der Meinung, dass wir Menschen im Winter besser unter der Nebeldecke bleiben sollen.
Zuoberst treffe ich zu meinem Erstaunen einen anderen Zweibeiner, den Einzigen des Tages. Stefan heisst der Entlebucher, der mir erklärt, dass es nichts Schöneres gebe als das Pilatusmassiv. Grosse Worte – ich lasse sie unkommentiert. Aber sehr schön ist es hier schon. Wir werden uns später auf dem nächsten Gipfel wiedersehen.
Nach einer Sandwichpause steige ich in umgekehrter Richtung wieder ab und verabschiede mich freundlich von den Steinböcken. Dann wandere ich gemütlich weiter zum Punkt, an dem ich den Grat erreicht hatte. Die Route führt jetzt um bewaldete Felsbrocken (Rot Dossen) herum weiter zum Nätschen.
Von hier aus ist es noch ein Katzensprung zum Mittaggüpfi, auch Gnepfstein genannt. Ein hübsches Gipfelchen mit einem grossen Hut aus Steinbrocken, das einen wunderbaren Tiefblick in das Entlebuch gewährt, wo Nebelschwaden um die bewaldeten Hänge schweifen.
Die Gratroute führt abwechslungsreich weiter zur Tripolihütte, gemäss Insidern ein beliebter Einkehrort, wo jetzt allerdings tiefer Winterschlaf herrscht. Über Grashänge führt der Pfad zum Fahrsträsschen zurück, das mich wieder zum Parkplatz zurückführt.
Inzwischen ist die Nebeldecke etwas gestiegen. Das Eintauchen ist immer wieder ein spezielles Erlebnis, allerdings hat man innert Sekunden auch freiwillig Fleece, Anorak und Mütze wieder an. Ich mache ein Selfie und grinse über diesen enormen Kontrast zwischen Sonnenbad und Kältesee. Immerhin, ich zähle mich jetzt wieder zur grossen Mehrheit der nebelgeplagten Schweizer. Die Steinböcke schütteln wohl immer noch den Kopf ob soviel Dummheit, bevor sie sich einem weiteren Nickerchen hingeben.
Tourdatum: 5. Dezember 2014
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