Rigitouren gibt es in meinem Blog schon im halben Dutzend. Doch dieser Tag verdient trotzdem ein paar Zeilen, um in würdiger Erinnerung zu bleiben. Der Föhn bläst nämlich so stark und die Sicht ist so klar, dass die Kraxlerei über Bützi, Stockflue und Hochflue eine ganz besondere Note bekommt. Die Bilder und Kurzvideos sagen mehr als jedes Wort.
Der Zug nach Brunnen ist voll mit Wandervolk. Wer wills verübeln, es ist der erste Schönwettertag dieser Woche und zudem ein Brückentag in der Innerschweiz. Doch am Fuss des Rigi starte ich alleine. Ein blauer Wegweiser und die dazugehörige Gefahrentafel weisen auf das alpine Abenteuer hin, das der Pfad über das Bützi auf die Stockflue bietet. Ich freue mich, von unten sehen die zwei Brocken neckisch aus, so keck wie sie aus dem steilen Bergwald herausragen.
Ich beginne langsam, das anvisierte Tagesprogramm über fünf Rigigipfel bis Küssnacht wird ein Challenge. Er dient als Konditionstest für die Fortsetzung der Ost-West-Transversale im Wallis, die hoffentlich in 14 Tagen beginnen kann. Auch ein paar leichte Karbonstöcke wollen getestet werden, und der neue Helm. Nur bei den Schuhen setze ich auf Vertrautes.
Der Aufstieg durch die steile, fast mediterran wirkende Flanke mit seinen knorrigen Föhren ist ein Genuss. Es riecht gut, es blüht, und unter mir breitet sich der Vierwaldstättersee mit seiner unverschämt schöner Kulisse aus. Bald machte sich auch der älteste Urner bemerkbar. Zuerst als Lüftchen, bald als zünftiger Wind, später als böiger Sturm. Es rauscht und reisst um Felsen und Bäume – spannend!
Am Fuss des Bützi verschwinden die Stöcke in den Rucksack, es darf gekraxelt werden. Freudig fassen meine Hände den ausgewaschenen Kalk mit seinen sanften Kanten. Noch bleibt der Pfad im T4-Bereich, die Kraxelstellen im ersten Grad sind überschaubar. Ich halte kurz ein, um eine einsame Lilie zu bewundern, die hier etwa so gut hin passt wie eine Primaballerina in einen Hells Angels-Club. Fast zu schnell für meinen Geschmack stehe ich vor dem hölzigen Briefkasten mit dem Bützi-Gipfelbuch.
Der Abstieg ist eine andere Nummer: Ein ultraschmales Band führt im 45 Grad Winkel über einen eindrücklichen Felsturm in die Tiefe. Gesichert ist die 20-25 Meter lange Traverse mit einem soliden Stahlseil. Dem vertraue ich mich voll an, denn ohne ihn kratzt die Abwärtskletterei im dritten Grad. Ruhig Blut behalten, eine Ruhepause des Sturms abwarten, durchatmen – und los gehts. Hoch aufregend, eine coole Sache!
Nach dem ersten Wändchen folgt bald ein zweites, aber da ist es schon einfacher. Der ebenfalls seilgesicherte Abstieg führt zwar senkrecht hinunter, an der schwierigsten Stelle sind jedoch Eisentritte im Fels befestigt.
Es folgt ein „normaler“ Pfad bis zum Fuss der Stockfluh. Dort wird die Kraxlerei ausgedehnter, aber die griffigen Felsen machen die Erklimmung des breiten, plattigen Bandes einfach. Es macht richtig Spass, auch wenn der Sturm inzwischen bedrohlich tobt.
Dann erreiche ich eine kleine Schutzhütte am Fuss des Gipfelaufbaus. Der markierte Pfad führt um den Gipfel herum zum Normalaufstieg auf der Rückseite, aber ich entscheide mich für die Kletterei zweiten Grades der Direktroute über die Südkante (sie ist hier auf hikr.org gut beschrieben, sonst hätte ich den Einstieg nicht so einfach gefunden). Mit viel Wind um die Ohren und Adrenalin sprudelnd lasse ich mich wenig später auf die Gipfelbank fallen. Grossartig!
Ich pausiere, geniesse den umwerfenden Blick auf See und Berge und steige dann über die Normalroute ab. Die hat es zwar auch in sich, ist aber mehr als gut gesichert (nur etwas eng für Leute über 1.85). Dann folgt der Katzensprung zur Bergstation der Urmibergbahn, wo Klara und Herbert die beste Aprikosenwähe seit langem auftischen. Die beiden tun mir etwas Leid. Coronabedingt können sie erst seit dieser Woche und nur bei schönem Wetter öffnen – und heute kann die Bahn aufgrund des Föhns gar nicht mehr fahren…
Gestärkt breche ich wenig später zum nächsten blau-weiss markierten Alpinpfad auf – jenen auf die Hochflue. Diese Route kenne ich bestens (hier kein Detailbeschrieb) und so ist die Vorfreude auf den spektakulären Ostgrat gross. Dort kehren andere Wanderer heute allerdings um – der Sturm und die Kraxlerei (I) im ausgesetzten Gelände setzen ihnen offensichtlich zu. Mehr als verständlich, wenn man die Route nicht kennt. Ich kraxle trotz Getöse tief entspannt weiter – und komme voll auf meine Kosten.
Der Gipfel präsentiert sich zwar stürmisch, aber mit einer umwerfenden Sicht, wie ich das hier noch nie gesehen habe. So klar, so wild!
Höchst zufrieden steige ich anschliessend über die wohl 30 Meter hohe Leiter direkt vom Gipfel auf den Nordgrat ab und steige durch den steilen Wald zum Gätterlipass ab. Hier endet der alpine Teil der Tour (T4/II). Mein Wandertag (ab hier T2) aber noch lange nicht.
Im Aufstieg zur Rigi Scheidegg probiert der Föhn mich nochmals richtig zu beeindrucken, aber auf den breiten Weiden gelingt ihm das weniger gut als in den Felsen zuvor. Trotzdem lunche ich auf dem Gipfel drinnen anstatt draussen, um der nervösen Hektik des Sturms für einen Moment zu entkommen.
Später lässt er nach – über Dossen, Felsenweg und Rothorn traversiere ich zügig zur gutmütigen und stärker bevölkerten Westseite des Rigimassivs. Doch davon schreibe ich hier nicht mehr, denn diese Panorama-Erlebnisse und Bilder kennt ihr bestens von hier, hier oder hier.
Kurz vor der Staffelhöhe lege ich mich in bester Stimmung für eine Weile ins Gras. Einerseits um die letzten Höhenmeter des Tages zu verdauen, andererseits um mein durchnässtes Shirt trocken zu lassen. Es ist richtig warm geworden.
Mit einem zufriedenen Strahlen im Gesicht steige ich schliesslich zügig nach Küssnacht ab, um dort mit leicht zittrigen Knien im „Rössli“ ein deftiges Wiener Schnitzel zu verdrücken.
Tourdatum: 12. Juni 2020
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Anmerkung: Die wilde Ostseite des Rigi lässt sich mit der Urmibergbahn (Bus ab Brunnen) oder per Auto bis zum Gätterlipass auch ohne viel Höhenmeter gut erreichen.
Inspiriert von der tollen Beschreibung bin ich die Tour heute gleich mal nachgewandert. Bis zum Gätterlipass wars super, dann setzte so langsam der übliche Rigiwahnsinn ein. Obwohl es, Corona sei Dank, heute nicht ganz so überlaufen war. Ich war gut in der Zeit und froh, noch den Gipfel und den einsamen Abstieg über den Tristenboden anzuhängen. Spannend, weil mir von oben ziemlich unklar war, wie sich der Weg wohl durch die steilen Nagelfluhbänder schlängelt. Vielen Dank für den schönen Bericht!
Danke Edwin.
Ich empfehle Deine Wanderabenteuer bereits kräftig weiter!
Diese kraxeltour war sehr abwechslungsreich und super erreichbar. Das Bützi und die Stockflue waren meines erachtens aber eher knackiger mit den Abstiegen als die Hohflue. Stimmt das, dass die zwei kleinen nur ein T4 sind?
P.s. die Aprikosenwähe war sogar ganz frisch aus dem Ofen! Einfach grossartig!
Liebe Janina
T5 ist ok. Du hast recht – ändere ich. Hast Du die Stockflue auch direkt erklettert?
BG, Edwin
Hallo Edwin
Ja, ich war zu beginn unsicher ob ich gleich die Kletterei im 2. Grad noch unternehmen sollte.
Bei der Hütte am Gipfel trafen wir 2 andere Wanderer, welche uns versicherten, dass es easy sei.
Vom Podest her geschaut sah die Wand viel furchterregender aus als von nächster Nähe. Würde ich also sofort wieder tun.
Liebe Gruess
J