Über den Mond zum Niesehorn 2776 m ü. M.

Das hübsche Dürseeli

Heute ist wieder einmal einer dieser schönen Gipfel dran, die wir in Lauenen vom Balkon aus sehen – das Niesehorn. Ich hatte schon vor einiger Zeit eine Notiz auf hikr.org gefunden, die eine Direktbesteigung vom Lauenensee her empfiehlt. Es ist darin von verborgenen Mondlandschaften die Rede – da will ich natürlich hin.


Weil nicht ganz klar ist, wie schwierig das wird, will ich mir das alleine ansehen. Lea wollte sowieso ausschlafen.

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Der Chüetungel mit dem Spitzhore im Hintergrund

Die Tour beginnt am Lauenensee mit dem steilen Zickzackpfad durch den Wald auf den Chüetungel, eine schöne, flache Alp (ein verlandeter See), die für sich alleine schon einen Besuch wert ist. Am ersten Sonntag im August wird hier – nach einer Feldpredigt des Dorfpfarrers – jeweils „Suufsunntig“ gefeiert. Heute morgen ist es hingegen seelenruhig. Ich mache eine kurze Pause, und studiere mit zusammengekniffenen Augen die felsigen Flanken des Niesehorns. Wo gibt es da ein Durchkommen?

Der Aufstieg über die Schafniese - die Route ist rot eingezeichnet
Das Niesehorn – rot eingezeichnet die Route über die Schafniese zum Mond

Kein einfaches Unterfangen. Wo sind diese Hikr-Jungs nur hoch? Zögerlich kraxle ich der Route nach, die ein von mir aufgescheuchtes Rudel Gämse genommen hat. Die Gämsen grinsen von hoch oben hinab. Das Gras ist glitschig, die Felsbänder zu ausgesetzt für vorsichtige Zweibeiner. Ich kehre um. Auch der zweite Versuch scheitert. Schon will ich aufgeben und auf den normalen Pfad zur Wildhornhütte absteigen, da gebe ich mir nochmals einen Ruck: „Durch diese Rinne müsstest Du auf das Felsband da oben kommen!“ Aber – geht es von da weiter? Es geht – eine knappe Stunde später stehe ich schweissüberströmt auf einem Vorgipfel, Schafniese genannt, und gönne mir eine Pause.

Geschafft - Blick von der Schafniese zum Chüetungel und nach Lauenen
Geschafft – Blick von der Schafniese zum Chüetungel und nach Lauenen

Jetzt folgt der landschaftliche Genuss, für den ich hier hoch gekraxelt bin. Zunächst folge ich der Flanke des Niesehorns durch zerfurchte Schieferhänge, dann verliere ich ein paar Höhenmeter, um zu einer namenlosen Pfütze abzusteigen. Und tatsächlich – so muss es auf dem Mond aussehen. Vor mir das formschöne Hahnenschritthorn, das sich neckisch in die Höhe reckt; um mich herum Blöcke, Geröll, Sandbänke, Wasser, Schneereste, Wiesenfetzen und Pionierblümchen. Totale Stille. Es beginnt ein abwechslungsreiches Steigen in Richtung der Chilchli-Moräne. Messerscharf spiegeln sich die umliegenden Felsen in dem mit Eisschollen gespickten Dürseeli. Ein paar Murmeltiere wundern sich, woher dieser Typ kommt, bevor sie sich rasch verziehen. Auf der Moräne stosse ich schliesslich auf die Wegspuren und Steinmännchen, die von der weiter unten gelegenen Wildhornhütte zum Niesehorn führen.

Auf dem Mond gelandet - ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser für mich
Auf dem Mond gelandet – ein kleiner Schritt für die Menschheit, ein grosser für Alpinwanderer

Weiter geht es über einen zuerst schmalen, dann immer breiteren Gratrücken zum Gipfel. Das Niesehorn präsentiert sich als grosszügiges Plateau, das gegen Norden senkrecht abfällt. Die umliegende Szenerie wird dominiert vom mächtigen Wildhorn, das sich von hier aus von seiner lieblichen Seite präsentiert: wie eine Königin mit einer langen Hermelinschleppe (der noch grösstenteils schneebedeckte Tungelgletscher). Ganz tief unten liegt unser Haus. „Ob Lea wohl immer noch schläft?“, denke ich. Wecken? Nein, es ist 10 Uhr, ich lasse das Telefon in der Tasche.

Die letzten Meter zum Gipfelplateau des Niesehorns
Die letzten Meter zum Gipfelplateau des Niesehorns
Das Wildhorn vom Niesehorn aus. Rot die Route durch die Wüste
Das Wildhorn vom Niesehorn aus. Rot eingezeichnet die Route durch die Mondwüste

Nach einer langen Genusspause mache ich mich auf den Abstieg über den Ostgrat. Dieser fällt wenig steil über Gras und Schutt ab und überrascht den Berggänger immer wieder mit grossen Farbtupfern aus Pionierblumen, die bunte Beete bilden. Nur Edelweiss findet sich diesmal nicht, dabei müsste der kalkige Boden es eigentlich hergeben.

Der Blick zurück zum Niesehorn
Der Blick zurück zum Ostgrat des Niesehorns

Auf der Wasserscheide zwischen Lauenental und der Iffigenalp trifft die Route wieder auf einen markierten Bergweg. Dem folge ich, über den „Hängstesprung“ zum Tungelpass und bis zur bewirteten Alp Stieretungel, wo ein Glas frische Kuhmilch serviert wird. Ich schaue der Sennerin ein Weilchen beim Auswinden der frisch gewaschenen Käselappen zu – und geniesse die Sonne. Die Fortsetzung ist „Genusswandern pur“ über die Weiden – bis zum kniebrechenden Waldabstieg zum Lauenensee. Beim Abzweiger zur Niesehornflanke bleibe ich kurz stehen und memoriere die gewählte Aufstiegsroute. Für potentielle Nachahmer habe ich sie rot eingezeichnet (siehe Foto). Eins ist klar, ich werde wieder zum Mond fahren – und dann Passagiere mitnehmen.

Kartenausschnitt Niesehorn (pdf)

Tourdatum: 6. August 2014

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