Nach einer Nacht in unserer „Basis“ im menschenleeren Morgins lassen wir uns zum Ausgangspunkt der zweiten Etappe dieser Wanderwoche fahren: die Bergstation einer Sesselbahn im savoyischen La Chapelle d’Abondance. Ein kurzer Aufstieg bringt uns zur Landesgrenze – dieser folgend surfen wir im heiteren Auf und Ab zurück nach Morgins. Ein Fest im Blumenbad.
Der klapprige Toyota ächzt, als er sich das Strässchen nach Sevan hochwindet. Es ist warm und das Auto voll. Heute sind wir zu Viert, Sevi ist gestern zu uns gestossen. Nach einem kurzen Einlaufen durch Kuhwiesen erreichen wir den Col de Conches und treffen auf den ersten Grenzstein. Ich blicke nach Norden zu den gestern unerreichbaren Cornettes de Bise. Mein Vernunftentscheid bestätigt sich. Zu viel Schnee an heiklen Stellen, sogar auf der Südseite. „Ich werde dich schon noch besuchen, my friend“, rufe ich dem Koloss zu. Dann wende ich mich den Leckereien des langen Grenzgrats zu – sechs Gipfelchen liegen auf dem Servierteller. Jedes mit eigenem Charme.
Zunächst kommt der Haut Sé, 250Hm müssen dafür über eine bewaldete Kante erklommen werden. Kurz aber heftig. Zuoberst erwartet uns ein Prachtpanorama: Die nahen Dents du Midi – das Wahrzeichen des Unterwallis – und die entfernten Berner, Mittelwalliser und französischen Viertausender. Es ist zwar sehr dunstig, aber auch das hat seinen Reiz.
Nach dem Abstieg zum Col de Chétillon folgt der zweite Grataufstieg. Er ist etwas weniger steil, dafür steiniger und zeitweise leicht ausgesetzt. Etwas Trittsicherheit ist gefragt, dann stehen wir schon auf „Le Mouet“. Beim folgenden Col de Croix erreichen wir das Skigebiet von Châtel mit seinen vielen Bahnen. Sie stören uns nicht, denn die schroffen Stahlgestelle werden durch ein liebliches Millionenheer gelber Hahnenfussgewächse und wilder Anemonen neutralisiert. Das ist jetzt wirklich „Surfen“ über Felder, von Grenzstein zu Grenzstein. Zunächst zum Tête du Tronchey und anschliessend zum Tour de Don auf 1999m – dem Tageshöchstpunkt. Mittagspause.
Ein Picknick, ein Powernap im Gras, eine zusätzliche Schicht Sonnencrème. Und viel Wasser trinken. Danach folgen noch ein paar Höhenmeter zum kantigen Pointe des Ombrieux und schliesslich zum Morclan. Das war der letzte Peak – aber noch nicht die letzte Steigung. Wir verlassen den Grat über seinen breiten Grasrücken und steigen auf der Schweizer Seite ab. Wieder Trinkpause, dann noch einmal steigen zu den Portes du Culet. Es ist sehr, sehr warm, und die Muskeln etwas gezeichnet vom stetigen Auf und Ab.
Bei Portes du Culet sind die letzten Höhenmeter des Tages geschafft. Wir teilen die letzten Tropfen Wasser redlich unter uns auf und schlendern dann gemütlich nach Morgins hinunter. Die Blumenvielfalt ist umwerfend. Was für ein Fest! Das lässt sogar den grossen Durst vergessen, denn frisches Wasser gab es unterwegs nirgends. Überhaupt sahen wir kaum Menschen. Ein ruhiges Stück Schweiz – zumindest im Sommer.
Tourdatum: 25. Juni 2019
Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Angaben zum öV: Taxi zum Ausgangspunkt, die Bahn fährt im Sommer nicht. Ab Morgins normaler Busverkehr.
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