Im Spätherbst bieten Südhänge noch lange wunderbare Wandererlebnisse. Der frühe Schnee bleibt nie lange liegen und die Sonne wärmt Körper und Seele. Ein Klassiker ist für mich der Federispitz. Bei mildem Wetter verfärben sich die Blätter nur ganz langsam und fallen lange nicht von ihren Ästen. So wird die Halbtagestour von Kapuzberg oberhalb von Weesen auf den Federispitz zu einem farbenfrohen Erlebnis, das die Gipfelfreude fast in den Schatten stellt.
Kurz nach sieben Uhr laufen wir beim Kapuzberg los. Die ersten Sonnenstrahlen dieses Sonntagmorgens lassen den Herbstwald oberhalb von Weesen rötlich schimmern, nach unten öffnet sich ein friedvoller Blick auf den stillen Walensee. Der Pfad steigt schnell an, der holprige Nagelfluh unter den Füssen zwingt zu aufmerksamem Gehen. Es wird rasch wärmer, unsere Anoraks verschwinden im Rucksack.
Nach einer knappen Stunde erreichen wir den breiten Gratrücken bei der Alp Unter Nätschen, wo sich das Blickfeld um die Linthebene erweitert. Leider verhindert hier der starke Föhn die erwünschte Trinkpause auf dem Sunnebänkli an der Stallwand. Wir steigen also noch etwas weiter zum Talkessel von Ober Nätschen, wo wir rasch ein windstilles Plätzchen der Sorte „T-shirt only“ finden. Wir studieren fasziniert die Nagelfluhformationen des unteren Federigrats. Mit dem Schattenwurf der tiefstehenden Novembersonne wirken sie bizarr.
Frisch gestärkt bewältigen wir den steilen Pfad zum Federigrat und freuen uns dort über die Sicht zum Zürichsee. Beim Blick hinunter in die schattigen Nordflanke erinnern wir uns schmunzelnd daran, dass wir dort im Mai noch jämmerlich im tiefen Neuschnee gescheitert sind.
Der weitere Verlauf über den Grat bis zum Federispitz bietet viel Fernsicht, aber setzt uns auch wieder dem Wind aus. Links die Linthebene, vor uns das Zürcher Oberland und dahinter der Bodensee, der Säntis und die Churfirsten im Osten und schliesslich der Alpenkranz vom Rätikon bis zum Berner Oberland im Süden.
Der Gipfel bietet eine nette Sitzbank, sodass die Znünipause feudal ausfällt. Rolf studiert inzwischen nochmals die Nordflanke, die hier fast senkrecht abfällt – sicher liegend auf der besonnten Grasseite.
Für den Abstieg wählen wir den Südgrat, der einen sicheren Tritt erfordert. Er führt zunächst zu einem hübschen Gipfelchen, dem Plättlispitz (1764). Weit unten blinkelt der Walensee. Der Gratweg ist stellenweise etwas ausgesetzt, aber an der heikelsten Stelle mit Ketten gut gesichert. Es macht Spass, beidseitig die freie Sicht zu geniessen. Kurz vor Unter Nätschen treffen wir auf die Aufstiegsroute.
Nun erfolgt der Rest des Abstiegs über die immer noch erstaunlich grünen Wiesen und durch den lichten Wald. Der erste andere Berggänger kreuzt hier unseren Weg. Unser Tempo verlangsamt sich – die sanfte Sonne und der blaue Himmel sorgen für derart schöne Landschaftsansichten, dass wir immer wieder stehenbleiben und fotografieren müssen.
Solche Naturerlebnisse möchte man für ewig festhalten können. In allen Gelb- und Rotschattierungen leuchten die formschönen Laubbäume vor dem dunklen Blau des Himmels, atemberaubend schön. Wir meinen immer noch schönere Exemplare zu entdecken. Dazwischen schweift der Blick auf die Glarner Dreitausender, die scharfen Konturen der Churfirsten und den schöngeformten Walensee. Wir sind echt angetan von dieser kitschigschönen Herbstwelt.
Alles Schöne kommt zu einem Ende. Aber ich habe die Bilder noch scharf vor meinem inneren Auge, als ich pünktlich um 12 Uhr im Rössli in Zollikon zum Brunch erscheine.
Tourdatum: 2. November 2014
Kartenausschnitt Federispitz-Süd (pdf)
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
N.B. Vier Wochen später wiederhole ich die Tour im Alleingang, nunmehr ohne Blätter an den Bäumen – dafür mit viel Hochnebel (siehe Foto unten). Auch wunderbar – die Südseitenbesteigung des Federispitz ist ein Garant für spezielle Spätsaisonerlebnisse.
Nachtrag 11/2018: Seither habe ich die Tour jedes Jahr (2015, 2016, 2017, 2018) wiederholt, immer zwischen Mitte Oktober und Ende November. Und das will ich so lange fortsetzen, bis mich meine Beine nicht mehr tragen… Benötigte Zeit für den Aufstieg 2018: 85 Min.
Einen Wermutstropfen gibt es: Leider ist die Tour mit öV etwas anstrengender. Sie würde in Weesen beginnen und umfasst dann 400Hm mehr… aber es gibt ja Taxis.
Habe die Tour heute gemacht und war wirklich wunderschön. Die Bäme verbreiten in ihrer Farbenpracht schon Herbststimmung und die Aussicht vom Federispitz ist einfach spitze. Wirklich eine Tour, die man nur empfehlen kann! Danke Edwin für die Idee!
Die Tour ist also auch im Frühling sehr schön, wenn die Bäume ergrünen und es blüht und knospet! Danke ebenfalls Edwin für die Idee.
85 Minuten für den Aufstieg sind allerdings schon sportlich. Bei einem normalen, nicht Edwin-mässigen Tempo sollte man 2 Std. rechnen, inkl. diverse Fotostops – das ist allerdings immer noch weniger als die 2 Std. 50, die auf dem Wegweiser beim Start angegeben werden….