Dies ist einer der Höhepunkte meiner Transversale in diesem Jahr: Die abwechslungsreiche, lange Hochtour von der Corno-Gries-Hütte im Bedrettotal über drei Gletscher, Blinnenhorn und Hohsandjoch ins Walliser Binntal. Das Traumwetter, die Sicht von Mont Blanc bis Bernina, die liebenswürdige Betreuung in der SAC-Hütte und der intensive Herbstduft im Binntal setzen einen würdigen Schlusspunkt unter die diesjährige Hochtourensaison.
Monica Stoppani ist eine herzliche Hüttenwartin in einer modernen SAC-Hütte. Ihr Raumschiff „Corno-Gries-Hütte“ leistet an diesem ersten Mittwochabend im Oktober beste Therapie zur Korrektur meiner Berghütten-Phobie. Nach einem feinen Z’Nacht und einer guten Flasche Merlot kriechen wir zufrieden in unsere Vierbett-Koje und schlafen durch bis kurz vor Sechs. Ein währschaftes Frühstück, ein kurzes Kraulen von Monica’s Katze – dann verabschieden wir uns, schalten die Stirnlampen ein und marschieren los.
Die Tour ist lang, andere würden sie wohl in zwei Tagen absolvieren, aber die Rifugio Claudio e Bruno auf halbem Weg ist schon zu. Mit dem topfitten Walter als Begleiter geht das gut, acht bis neun Stunden haben wir ausgerechnet, knapp die Hälfte davon über Eis.
Im Osten glüht der Himmel orange-rot, leider wird mein Foto vom Raumschiff in diesem Licht unscharf, ich hätte es euch gerne gezeigt. Wenig später dämmert es, vor uns schimmern Griesgletscher, Blinnenhorn und bald auch das Ofenhorn in zartem Rosa. Eine Augenweide. Wir passieren den Cornopass, steigen leicht ab zum Griespass und erblicken seitlich zwischen den gewaltigen Windrädern am Griessee die ersten sonnenbestrahlten Berner Viertausender.
Auf rund 2500m, gleich nach dem markanten, rot-weiss bemalten Grenzstein Nr. 1936 (wir folgen hier kurz der italienischen Grenze), zweigt eine schwache Spur vom Wanderweg ab. Der Höhenkurve und einigen Steinmännchen folgend, später leicht absteigend, erreichen wir bald den Rand des Griesgletschers. Der ist zunächst noch praktisch flach, erst am Fuss des ersten Aufschwungs schnallen wir auf der Mittelmoräne die Steigeisen an. Wir gehen seilfrei, der Gletscher ist praktisch aper bis zuoberst. Die zahlreicher als erwarteten Spaltenzonen lassen sich gut umgehen, nur der vor drei Tagen frisch gefallene Schnee schafft hier und da tückische Fallen und mahnt zur Vorsicht. Der Wanderstock als Sondiersonde ist hilfreich.
Der Gletscher ist lang – sehr lang. Wir halten uns eher östlich und erreichen nach der Durchschreitung eines grossen Steinfelds auf dem Eis den Rothornpass. Hier bekommt der Gletscher seine maximale Breite, und das Blinnenhorn präsentiert sich besonders fotogen. Die Landesgrenze folgt dem Gletscherrücken, Carabinieri sind jedoch keine in Sicht. Bei Punkt 3215 verlassen wir das Eis und steigen über gute Wegspuren in knapp 20 Minuten über den Südgrat hoch zum Gipfel. Von Italien aus ist das Blinnenhorn ein Wanderberg geworden. Aber was für einer: Die Aussicht ist überwältigend! Die ganze südliche Hälfte der Schweiz und grosse Teile Norditaliens liegen uns zu Füssen. Der Walliser und Berner Oberländer Alpenkranz, das Gotthard-, Adula- und Bernina-Massiv – you name it. Cool!
Wir verweilen lange auf dem Gipfel und staunen. Dann blicken wir hinüber zum Ofenhorn und versuchen die Fortsetzung unserer Route zu erkunden. Über viel Schutt, aber immer über einen sichtbaren Pfad, steigen wir zunächst zur Claudio e Bruno-Hütte ab, die verlassen hoch über dem Sabbione-Stausee steht. Von hier aus suchen wir westlich einen Abstieg zum Ende des Hohsandgletschers. Nicht ideal, steil und durch loses Geröll hinab, aber es gibt offenbar keine bessere Alternative. Am Gletscherbach, dank des frischen Tages einfach zu überspringen, erblicken wir dann einzelne Steinmännchen, die uns eine Spur durch die endlosen Geröllhalden hoch zum Sabbione-Gletscher zeigen. Die Spur ist oft verwischt durch Murgänge, dennoch ist die Route eindeutig und bietet keine Probleme. Später flacht es ab, wir passieren ein hübsches, karges Seelein, und das doch etwas mühsame Steingewühle vom Rifugio hierher findet sein Ende.
Wir leisten uns einen gemütlichen Halt auf einem Steinblock am Gletscherrand, montieren die Steigeisen wieder – und ab gehts auf den Sabbione-Gletscher. Der Aufschwung erweist sich als steiler als gedacht. Die oberste Eisschicht ist zuweilen etwas diffus, mal brüchig, mal beinhart und aalglatt, die Zacken halten aber gut. Mit leicht erhöhtem Adrenalinspiegel, den Pickel immer einschlagbereit in der Hand und zuoberst etwas ausser Atem sind wir froh, als sich der Eispanzer wieder zurücklegt. Nun ist es nicht mehr weit zum Hohsandjoch, das uns in die Schweiz zurückführen wird. Das „Joch“ entpuppt sich dann als Bruchsteinmauer, soweit ist das Eis schon zurückgegangen. Eine etwas heikle Stelle, die Schlüsselstelle des Tages.
Auf der Schweizer Seite des zerklüfteten Jochs erwarten uns die Reste des Mittleberggletschers. Der ist harm- und spaltenlos, die Gefahr liegt hier eher im Abbröckeln seiner Flanken. Das Eis ist übersät mit Steinen. Wir steigen dort ab, wo der Steinschlag am wenigsten gewütet hat. An der Gletscherzunge schütteln wir die Eisen von den Füssen und waschen sie im Bach. Genug Gletscher für heute!
Jetzt gilt die volle Aufmerksamkeit dem Binntal, das sich zunächst noch steinig, dann bald immer grüner präsentiert. Wir folgen weglos dem Bach bis zu einem versandeten Seelein, in dessen Verlängerung sich das Weisshorn sonnt. Dann folgt eine leichte Gegensteigung, die wir in den Oberschenkeln spüren. So lassen wir später die zweite kurze Gegensteigung zur sowieso schon geschlossenen Mittlenberghütte aus und steigen direkt über ein grasiges Band ins Tal ab. Es wird nun immer grüner und es duftet nach Herbst. Sind das die Kräuter zwischen den Heidelbeerstauden? Ich weiss es nicht, ein Botanikkurs wäre eine Überlegung wert.
Im Talboden („Wysse Bach“, bei Pt. 1952) erreichen wir um halb Vier das Fahrsträsschen, wo das Wandertaxi von Katharina schon auf uns wartet. Sie gondelt uns gemütlich plaudernd durch das wunderschöne Tal mit seinen pittoresken Holzhäusern nach Binn. Hierhin komme ich im kommenden Frühling gerne zurück, um die Transversale fortzusetzen! Vorerst freuen wir uns aber auf das Bier am Bahnhof Fiesch, das wunderbar schmeckt..
N.B. Die Tour bis zur Refugio Bruno e Claudia ist eine T4/L, von hier kann man auch zurück zum Griesssee wandern (T3). Die Route von der Refugio über das Hohsandjoch nach Binn entspricht einer T5/WS. Wer zwei Tage Zeit hat, nimmt das Ofenhorn noch mit. Wir waren inkl. Pausen 9 Std. unterwegs.
öV: Aufstieg zur Corno-Gries-Hütte: 45 Min. von Postautohaltestelle Cruina, Nufenenstrasse. Binn: Wandertaxi Katharina Schmidt, 079 206 65 44
Tourdatum: 4. Oktober 2018
Lieber Edwin
meine spontane Gratulation. Sehr gute Leistung, sehr schöner Beitrag auf http://www.edwinwandert.com.
Ich kenne nur Gorno-Griesshütte -> Blinnenhorn -> Griess-See – Abzweigung Postauto und Mittlenberghütte -> Hohsandhorn -> Ofenhorn und zurück.
Habe das Gebiet sofort erkannt.
Diese beiden Touren findet man auf http://www.kley.ch .
Macht gluschtig für nächst’s Jahr! Werde ich mir merken. Kenne das Ofenhorn, eine faszinierende Gegend mit wundervollen Ausblicken.
Erhard
Lieber Edwin
Einmal mehr wunderschöne Bilder.!!!
Obwohl es der Fotograf ist, welcher die Bilder macht, 🙂
darf ich fragen was für eine Kamera du benutzt..?
Liebe Grüsse Jacqueline
Liebe Jacqueline – es ist „nur“ ein iPhone 8. Aber für Bergbilder geht das bestens…
herrlicher Gruss, Edwin
Wow, tolle Tour. Ich würde mich nicht über so ein Eisfeld trauen. Woher weiß man denn, dass das Eis stabil ist?
Beste Grüße, Jana
Liebe Jana
Solange das Eis schneefrei ist gibt es in der Regel keine Probleme – du siehst die unsicheren Passagen. Aber ein bisschen Erfahrung ist schon gut und in der Regel seilt man sich auch an und muss dafür ausgebildet sein. Probiere es doch einmal zusammen mit einem Bergführer aus. Es macht Spass!
MbG, Edwin
Lieber Edwin, ja, mit Bergführer könnte ich mich vielleicht trauen. Danke für den Tipp! Ich denke mal drüber nach.