Der lange Gratrücken zwischen Ricken und Speer ist ein Evergreen für alle Jahreszeiten. Es lockt das Panorama und die Beiz auf dem Tanzboden, oder etwas versteckt dahinter die gleichnamige SAC-Hütte. Wer die „Autobahn“ von Müselen hinauf meiden will, startet die Tour in Rieden und erreicht das Ziel über die einsame Alp Wielesch. Auch der Abstieg über Ober Howald nach Schwendi ist menschenleer und reizvoll. Ich beschreibe die „Januar-Version“ von heute und mische ein paar Fotos von früheren Besuchen ein, um den Ganzjahres-Charme der Wanderung zu unterstreichen.
Imposant ist sie, die Kirche von Rieden, die rund 300Hm über der Linthebene aus dem schmucken Dörfchen emporragt. Gleich daneben ist ein grosser Parkplatz (und die Bushaltestelle), von wo aus ich den zuerst ziemlich steilen Aufstieg über die Weiden zur Alp Wilesch unter die Füssen nehme. Die Tour beginnt grün, die warme erste Januarhälfte und der Föhn haben den vielen Dezemberschnee schwinden lassen. Bis zum Waldrand des Chirnenbergs sind schon 300Hm überwunden, und damit erfreulicherweise auch die Nebelgrenze. Es ist warm geworden unter der Softshell-Jacke, beim Aussichtsbänkli verschwindet der Pullover im Rucksack. Zufrieden blicke ich auf das soeben freigewordene Panorama. Speer und Glärnisch beherrschen das Bild, die Linthebene und die Seen können nur erahnt werden.
Ich durchschreite ein kurzes Waldstück, das kürzlich durch Sturm „Burglinde“ ziemlich zersaust wurde. Umgeworfene Bäume versperren den Weg, mehrere Meter ragen ihre Wurzelstöcke in die Höhe. Ich umgehe sie rechts. Die Wiesen der Alp Wielesch sind schneebedeckt, aber so hart durchgefroren, dass die Schneeschuhe im Rucksack bleiben können. Rasch erreiche ich den verlassenen Bauernhof an diesem herrlichen Aussichtspunkt und gönne mir eine Pause. Im Sommer werden hier kühle Getränke serviert, in der Regel bis zum 31. Oktober. Der 1. November (auch wenn ein Feiertag im katholischen St. Gallen) darf jeweils nicht mehr genutzt werden für die Restauration, so wollen es die strengen Alpgesetze. Ich denke schmunzelnd daran zurück, wie Chris und ich hier vor 4 Wochen erschöpft umgekehrt sind, nachdem wir nach endloser Waterei eine tiefe Schneeschuh-Spur durch den vielen Neuschnee hier hoch gezogen hatten.
Heute geht es ganz leicht, auch die Topographie hilft mit, der weitere Aufstieg wird immer flacher. Bald erreiche ich die Wasserscheide von Linth und Thur, der Blick wird frei auf den tiefwinterlichen Säntis und das nebelbedeckte Toggenburg. Wenig später erweisen mir die stolzen Churfirsten ihre Aufwartung. Die Route folgt nun dem gutmütigen Gratrücken im leichten Auf und Ab. Bei Oberbächen passiere ich die tief im Schnee versunkene Alpbeiz (nur im Sommer offen) und tauche dann in den dichten Wald mit seinen vereisten Bäumen ein. Auf der Stotzweid treffe ich auf die Aufstiegs- und Abfahrtsroute von Ebnat-Kappel, die wesentlich häufiger begangen wird als meine Aufstiegsvariante. Eine breite Spur führt um den Gubelspitz zur Chüebodenegg, wo die „Müselen-Autobahn“ (der kürzeste Aufstieg) den Grat erreicht.
Nun sind es nur noch wenige Minuten zum Tanzboden, mit der Ruhe ist es definitiv vorbei. Das Volk ist unterschiedlich unterwegs. Die Skitourenfahrer mit ihren Fellen sind in der Minderheit, die Massen kommen mit Schneeschuhen, andere mit Bergschuhen und Schlitten. Ein lustiges Bild. Auf dem Tanzboden drängt alles in das Bergrestaurant, die Insider schleichen hingegen zur etwas versteckten SAC-Hütte hinauf, die mit einer schönen Terrasse aufwartet. Das Hüttenteam serviert heisse Getränke und Suppe, nur die Kinder sind etwas erstaunt, dass es hier kein Coki gibt.
Ich geniesse die wunderbare Aussicht auf den nahen Speer, den Alpstein und den Alpenkamm – und lobe die Hüttenwartin. Die Suppe ist fein, irgendetwas mit asiatischem Gemüse, den Namen habe ich allerdings schon wieder vergessen. Nach dem zweiten Kafi Lutz schnalle ich die Halbsteigeisen an, um dann mit Leichtigkeit den Abstieg über den gefrorenen Schnee in Angriff zu nehmen. Die Sonne wärmt wunderbar – aber schon naht die steigende Nebelgrenze. So bleibe ich auf der Alp Ober Howald noch eine Weile sitzen. Ich will die Sonne nicht nur in meinen Gedanken noch möglichst lange mitnehmen zu können. Nur die Düfte des Sommers und die Blumen fehlen. Aber ja, irgendwann wird nur das Eintauchen in den Nebel unvermeidbar. Welch ein Stimmungsunterschied!
Bald Unter Wald erreiche ich die Strasse und schüttle die Eisen ab. Schliesslich folgt das etwas öde Teilstück über die Asphaltstrasse von Schwendi nach Rieden. Aber wer frech ist streckt nun einfach den Daumen in die Höhe – und schon hält ein Auto und nimmt dich mit nach Rieden.
Tourdatum: 14. Januar 2018
Kartenausschnitt Tanzboden (pdf)
Interaktiver Kartenausschnitt (Schweizmobil)