Manchmal zwingt mich das Wetter, kurzfristig umzuplanen. So heute, als die Innerschweiz im Regen zu ertrinken drohte, aber die Bucheli-Crew trockene Füsse im Alpstein in Aussicht stellte. Ich fahre etwas planlos über den Ricken und erblicke den Lütispitz, der schon lange auf der Projektliste steht. Wenig später parkiere ich in Laui ob Unterwasser, ohne genau so wissen, wie der Tag ablaufen wird. Es kommt gut.
Das Asphaltsträsschen zum Gräppelensee erlaubt, wandernd auf die Karte zu schauen und auf hikr.org zu surfen. So entsteht der Plan, den Lütispitz direttissima über die Südflanke zu erklimmen. Dann werde ich weiter sehen, denn der Säntis hüllt sich schon jetzt in Wolken.
Die Strasse ist voller Kuhmist, die Voralpen werden allmählich von ihren Sommergästen eingenommen. Rinder, Kälber und Ziegen füllen das friedliche Hochtal mit ihrem Gebimmel und übertönen das Zwitschern der Vögel.
Beim See zweigt der Wanderweg rechts zum Windenpass und zur Normalroute zum Lütispitz ab. Ich verlasse den Pfad aber bald und steige direkt über die rasch steiler werdenden Grasflanken hoch. Bei einer Stallruine studiere ich die möglichen Routen. Ich entscheide mich, drei auffällige Felsformationen anzupeilen und diese dann rechts zu umgehen. Es wird immer steiler, auf der Höhe der Türme wechsle ich auf Vierradantrieb. Der Grasboden ist gestuft, die Hände sind eine gute Hilfe. Auf dem Südgrat angekommen, folge ich der Falllinie zum Gipfel, umgehe die Gipfelfelsen links und erreiche über Schrofengelände den Lütispitz.
Hier begrüsst mich ein kalter Wind, der nicht zum langen Verbleib einlädt. Eine kurze Fotosession, dann bewege ich mich rasch zurück in den Windschatten der Südflanke. Über den Alpen ziehen immer mehr dunkle Wolken auf, in der Ferne ist nur gerade der Tödi gut zu erkennen. Die Churfirsten geben mir jedoch deutlich zu verstehen, dass dies egal sei und sie hier die Stars der Tages sind. Tatsächlich sehen sie von nirgends so gut aus wie von hier. Der Restschnee betont ihre Konturen zusätzlich, sie verdienen es, ausgiebig bewundert werden.
Im Westen ist die Bewölkung noch harmlos, und so wendet sich mein Interesse rasch dem Neuenalpspitz und den wilden Gratverlauf dorthin zu. Meine Beine meinen, das sei kein Problem, und schon machen wir uns auf dem Weg dorthin.
Es folgt zunächst der steile Abstieg zum Windenpass über den harmlosen Bergweg. Es bleibt genug Aufmerksamkeit für Tiefblicke ins Appenzellerland. Ab dem Windenpass geht der Pfad im wahrsten Sinne des Wortes über Stock und Stein. Ich bin enorm positiv überrascht, wie abwechslungsreich sich die Gratroute zum Neuenalpspitz präsentiert. Der Weg mäandert im steten Rauf und Runter mal auf die Appenzellerseite, aber mehrheitlich im Toggenburg. Nach einem namenlosen Gipfelchen (Pt. 1806) folgt ein Grasgrat, der ab Pt. 1729 in das spektakulärste Teilstück des Tages mündet. Die Überschreitung des zerklüfteten Schindlenbergs erfordert Trittsicherheit und ist nichts für Leute mit Schwindelgefühlen. Immer wieder leicht ausgesetzt erfordert der raffiniert angelegte Pfad hin und wieder auch den beherzten Einsatz der Hände. Über eine besonders ausgesetzte Traverse hilft ein Drahtseil. Mein Alpinwanderherz schlägt höher. Ein Genuss-T4er. Dann taucht der Gipfelaufbau des Neuenalpspitzes auf, und nach der Überwindung eines letzten, kurzen Steilstücks erreiche ich schliesslich vergnügt den letzten Gipfel des Tages.
Der westlichste Gipfel des Alpsteinmassiv überrascht dann mit einer blumig-grasigen Westflanke. In allen Farben leuchten die Enziane, Glockenblumen, Astern, Knabenkraut, Nelken, Hahnenfüsse (wenn ich sie nur alle bestimmen könnte, eines meiner nächsten Projekte!). Es ist jetzt windstill, ich lege mich ins Gras und gebe mich einer genüsslichen Siesta hin. Im Westen und im Süden ist nun alles schwarz, der Glärnisch bedrohlich eingehüllt. Wie wunderbar, dass die Meteologen recht hatten!
Ich steige durch dieses Blumenparadies hinab bis zur Aussichtskanzel auf dem Schlofstein, der nochmals einen schönen Blick ins untere Toggenburg bietet. Dann biege ich in die Flanken der Neuenalp ein. Es folgt der lange, einfache Weg zurück durch das flache Gräppelental zum See und schiesslich zum Parkplatz. Unterwegs lerne ich noch von einer Bäuerin, dass die Kälber jetzt aufs „Nachtleben“ umgewöhnt werden müssten, weil es für sie am Tag bald zu heiss werde.
Die schöne Tour findet ihr Ende im „Schweizerhof“ in Alt St. Johann, wo mir zu einem Zwinglibier der beste Apfelkuchen seit langem (der Wirt backt selber!) serviert wird.
N.B. Beim nächsten Mal (und das mache ich bestimmt!) würde ich bei Burst oberhalb von Alt St. Johann parkieren, um die Asphaltstrasse von Laui zum Gräppelensee zu vermeiden.
Tourdatum: 9. Juni 2017
Hoi Edwin, super schöner Blog und lädt gerade dazu ein, auch mal wieder die Wanderschuhe anzuschnallen. Morgen gehts ins Maderanertal. Liebe Grüsse, Meo
lieber Edwin,
sehr schöne Fotos und ein toller Text. Wir waren gestern am Gräppelensee und haben am Parkplatz Burst (klein, offiziell, gratis, aussichtsreich gelegen) parkiert und sind durch die „Chrinn“ (schöner Buchenwald, treppenartiger Weg) hochgestiegen, in 45 Minuten ist man dann bereits am Gräppelensee. Die meisten Leute kamen vom Parkplatz Laui her hoch.
Es war empfindlich kalt, das Gebiet nordwestlich des Gräppelensees ist ein „Kaltluftsee“. Auch die Schiessanzeigen sollte man google.
Danke Margrit, ich habe das im Text ergänzt…. Gruss Edwin
herzliche Grüsse von Margrit Brunner