Wer den langen Grat vom Schwalmis zum Oberbauenstock überschreitet, verbringt seinen Tag im Vorzimmer des mächtigen Uri Rotstocks. Für die Liebhaber von Seen präsentiert sich gleichzeitig eine ausschweifende Sicht auf den Vierwaldstättersee. Ende Oktober wird zwar alles etwas schwieriger. Nässe, Schnee und die kürzeren Tage wollen in die Planung einbezogen sein. In Nordpassagen entstehen Schlüsselstellen, die im Sommer keine sind.
Das Postauto bringt uns von Flüelen zur Talstation der Gitschenenbahn nach St. Jakob im Isenthal. Wir sind nur zu zweit, Andres und Cécile haben vergessen in Arth-Goldau umzusteigen und sind nun ohne Halt nach Bellinzona unterwegs…
Auf der schönen Alp Gitschenen werden wir mit viel Sonne und wohliger Wärme empfangen, auch der Duft einer frisch aus dem Ofen genommenen Zwetschenwähe lässt uns gerne etwas verweilen.
Der Bergweg in Richtung Schwalmis schlängelt sich mässig steil noch oben, Wiesen und Wald riechen nach Herbst. Die Farbkontraste sind wunderbar. Der weisse Uri Rotstock und seine Freunde schauen uns neidisch zu, wie wir die Jacken ausziehen und im T-Shirt weitersteigen. Nach einer knappen Stunde begegnen wir den ersten Schneeresten. Ein faszinierendes Bild – wo die Sonne hinkommt ist es grün, wo nicht ist es weiss. Auf dem Gipfelgrat vergrössert sich das Blickfeld, es erwartet uns die schier unendliche Weitsicht über das nebelverhangene Mittelland und der Tiefblick auf den formschönen Vierwaldstättersee. Beschwingt schreiten wir weiter zum Gipfel des Schwalmis. Irgendwie fühlt sich das „unwahr“ an hier oben – so wunderbar locker zwischen Herbst und Winter in frühlingshafter Wärme. Bei der Gipfelrast können wir uns kaum entscheiden, in welche Blickrichtung wir uns hinsetzen wollen. Das Bergpanorama gewinnt, und damit die Sonne im Gesicht…
Während ich mein feines Curry-Sandwich verschlinge und Walter seine Fitnesskost kaut, studieren wir den weiteren Verlauf unserer Tour, die über einen langen, nordseitig schneebedeckten Grat zum Oberbauenstock führen wird. Wir beschliessen, eine auf hikr.org beschriebene Direttisma zu wagen und steigen über den steilen Grashang zum Ostgrat ab. Hier scheuchen wir ein grosses Rudel Gämsen auf und finden auf Anhieb die Scharte mit dem begehbaren Durchgang, der sich wie eine Zahnlücke im Felsband präsentiert. Wenig später stehen wir auf dem Vorderjochli, wo der blauweiss markierte Gratweg beginnt.
Auf dem Grat läuft es sich wesentlich einfacher als aufgrund des Schnees zunächst befürchtet. Es ist ein wahrer Genuss, mal nördlich mal südlich zu wandern. Mal kühlt die leichte Bise, mal treibt die warme Sonne den Schweiss aus den Poren.
Auf dem Gandistock begegnen wir zwei fröhlichen Ostschweizern, die unsere Bedenken vor der schattigen Nordflanke des Oberbauenstocks mindern, während wir ihnen die zeitschonende Zahnlücke am Schwalmis anpreisen. Abends, zufällig wieder im selben Bus, werden wir uns gegenseitig dafür bedanken.
Der Pfad geht weiter im stetigen Auf und Ab, unterhalb des „Lückli“ beginnt der Aufstieg zum 300m höheren Oberbauenstock. Das Schlusstück an der steilen Südflanke des Gipfels ist anspruchsvoll, die Wegspuren nicht immer eindeutig. Walter führt mit Zuversicht, wir sind dennoch ziemlich geschafft, als wir knapp zweieinhalb Stunden nach dem Abmarsch vom Schwalmis unser zweites Tagesziel erreichen.
Die Mühe lohnt sich, und wie! Tief unter uns schimmert der Urnersee schwarzblau, die Laubbäume leuchten in Rostrot, dahinter räkeln sich die Gipfel des Reuss- und Schächentals im sanft-stimmigen Nachmittagslicht. Die Sonne steht schon ziemlich tief, wir müssen etwas Gas geben. Es fällt uns schwer, diese bemerkenswerte Aussichtskanzel bald wieder verlassen zu müssen. Ein Wiederkommen ist gesetzt.
Jetzt gilt es den äusserst steilen Abstieg durch die schattige Nordflanke bewältigen, der bei „Schwiren“ vom Grat abzweigt. Der schmale Pfad ist teilweise schneebedeckt und schmierig. Ein Ausrutschen hätte unangenehme Konsequenzen. Wir setzen beide Hände ein und steigen doppelt vorsichtig Schritt für Schritt ab. Die paar einfachen Kraxelpassagen (max II) sind mit Stahlseilen versehen, die wir gerne in Anspruch nehmen. Knapp 150Hm unterhalb des Grats erreichen wir ein Geröllfeld und einen guten Pfad. Von nun an ist der Abstieg zwar weiterhin glitschig, aber nicht mehr schwierig, auch wenn immer noch etwas ausgesetzt.
Von weiter unter blicken wir noch einmal zur felsigen Nordeite des Oberbauenstocks zurück – wie so oft scheint es aus der Ferne schwierig zu glauben, dass hier überhaupt ein Durchkommen möglich ist.
Eine halbe Stunde später erreichen wir über die verlassene Weiden der Niederbauenalp wandernd die Bergstation der kleinen Bahn. Hier erwartet uns nicht nur das obligate Bier, sondern auch nochmals ein mystischer Tiefblick auf die stolzen Gewässer der Urschweiz. Dann schweben wir ins Tal und erleben in Beckenried, wie die untergehende Sonne die Mythen rötet. Zurück in Flüelen ist es schon beinahe Nacht.
Tourdatum: 30. Oktober 2015
Am Samstag nachgewandert inkl. Curry Sandwich auf dem Gandistock… Grandiose Tour!
Hallo Edwin
sieht toll aus
hast du die GPX-Daten dieser Wanderung? wie lange braucht man ca?
Grüsse René
Lieber René – bei Zeitangaben bin ich immer vorsichtig, jeder hat seinen eigenen Speed. Aber wenn Du 6 Stunden einrechnest, solltest du gut durchkommen. Herzlicher Gruss, Edwin
An und Rückreise hast du mit ÖV gemacht?
Ja, es gibt einen Bus von Flüelen ins Isenthal nach St. Jakob. Von Emmeten fährt ein Bus nach Beckenried mit Anschluss auf einen Bus zurück nach Flüelen. GPS track habe ich übrigens leider nicht. Aber nur die Route vom Schwalmis-Gipfel hinunter zum Vorder Jochli und das letzte Stück zum Oberbauenstock sind nicht markiert