Es gibt kaum einen Ort im Glarnerland, wo ich einen so umfassenden Eindruck dieses Kantons bekomme wie auf den einsamen Plateaus hoch über Ennenda. Dank der privat betriebenen Äugstenbahn darf der Wanderer auf 1450m beginnen: 1000Hm über dem Zigerschlitz, 1000 Hm unter den hübschen kleinen Gipfeln, die ich heute der Reihe nach überschreiten will. Die Tour bietet viel Abwechslung und eine grandiose Weitsicht. Nur der Föhn hat mich fast weggeblasen.
Acht Personen haben Platz im Gondeli. Die Chefin verkauft Tickets und nimmt Reservationen für die Rückfahrt entgegen. Neben ihr steht ein Stuhl, auf dem selbstgestrickte, bunte Ringelsocken auf ihre Abnehmer warten. Dann geht’s los und wenige Minuten später steige ich auf dem Kuhboden aus.
Jetzt gilt es zuerst über Wiesen und durch Wälder eine happige Steilstufe zu erklimmen. Derweilen sieht man prächtig in den Zigerschlitz hinunter, auf der anderen Talseite protzt der mächtige Glärnisch. Die Alpweiden platzen fast vor Blumen, die Kühe sind noch im Tal.
Kurz vor dem Schafleger flacht das Gelände markant ab. Die Sicht nach Süden wird frei und damit der Blick auf die ganze Glarner Alpenkette vom Piz Sardona bis zum Clariden. Hinter Tödi, Bifertenstock und Hausstock stauen sich dicke Föhnmauern. Der starke Föhn bläst mir kräftig ins Gesicht. Das Gelände ist jetzt coupiert, zahlreiche Bäche zeugen von der intensiven Schneeschmelze, zwei aufgescheuchte Gämse verstecken sich hinter die nächsten Felsbrocken. Im leichten Auf und Ab, schliesslich steigend, erreiche ich das nächste Plateau, wo mich die letzten Spuren des Winters erwarten.
Auf 2’200m sind die kleinen Seen halb, weiter oben sogar noch ganz zugefroren. Schwarzblau schimmert das Wassser neben den Eisplatten. Die Route folgt jetzt rot-weiss markierten Stangen, die den Weg über die vielen Schneefelder weisen. Dann liegt der Gufelstock vor mir – der starke Föhn tut den Rest und schiebt mich über den steinigen Grat bequem auf den Gipfel.
Jetzt wird die 360 Grad-Sicht perfekt. Im Osten erscheinen der Pizol und dahinter die Bündner Berge, im Norden die Churfirsten und der Säntis, weit unten blinzeln die Murgseen. Ich geniesse mein Thon-Sandwich und versuche, die Glarner Gipfel unter den Föhnmauern zu identifizieren. Mal zeigt sich der Tödi, mal der Piz Segnas, mal der Clariden.
Dann nehme ich die Kür des Tages unter die Füsse – das Gipfelhüpfen. Mein Weg folgt jetzt (nicht markierten) Wegspuren am Grat. Über den Heustock schreitend visiere ich das markante Schwarzstöckli an. Es geht besser als ich befürchtet hatte. Die gefährlichen Wächten sind weg und die Route ist mit Ausnahme von einigen wenigen ausgesetzten Stellen gut begehbar. Es fühlt sich an wie Schweben auf der Grenze zwischen Glarus und St. Gallen. Wenn nur der Wind nicht so blasen würde!
Auf dem Schwarzstöckli finde ich ein geschütztes Plätzchen und gebe mich nun ganz relaxed dem Studium der alpinen Gegend hin. Rotes Gestein, bizarre Felsen, karge Weiden, der markante Mürtschenstock im Norden – wunderbar. Ich schaue hinunter auf den Murgsee und denke an die feinen Forellen (siehe Tour) – mein Magen knurrt. Ich lasse mich aber nicht vom Plan abbringen, das Peak hopping fortzusetzen.
So folgt jetzt nach dem Schwarzstöckli der Wysschamm mit seiner gewaltigen Wand gegen Norden, nach dem kurzen Abstieg zur Rotärde will ich dann noch den Schilt mitnehmen. Der Nebengipfel des Schilts erlaubt schliesslich den 1800Hm-Tiefblick nach Glarus und den direkten Einblick in das Klöntal.
Der Abstieg durch das Schilttal ist steil, immerhin ermöglicht der Restschnee ein gelegentliches Surfen. Dann stehe ich unterhalb dieser gewaltigen Schiltsüdwand inmitten der unberührten Weiden, die vor lauter gelben Blumen schon fast kitschig schön aussehen. Auch die ersten Alpenrosen blühen schon. Die Alp Begligen ist schon etwas ganz Besonderes. Tipp: Für weniger ambitionierte Genusswanderer gibt es eine schöne Rundtour von der Äugstenbahn hierher.
Ich peile nun aber die Äugstenhütte direttissima an. Es soll noch für ein schnelles Panache reichen, bevor die Gondelfee mich auf telefonischen Zuruf wieder hinunterführt. Das grosse Bier und das Kaffiglace gibts dann auf dem Weg nach Hause in Weesen am Walensee.
Tourdatum: 12. Juni 2015
Kartenausschnitt Gufelstock-Schwarzstöckli-Schilt (pdf)
Variante II: 1. Juli 2016, mit Christine. Abstieg vom Schwarzstöckli zu den Murgseen. Auch an diesem Tag lag auf der Nordseite noch viel Schnee. Wenn er weich ist, gehts gut, sonst sind Steigeisen angesagt. Es ist stellenweise steil. Siehe auch hier
Variante III: 16. November 2018, mit Oli und Roger. Im Spätherbst sind die Seelein schwarz gefroren. Die Sicht ist fantastisch (Alpenkette und Nebelmeer) Die Traverse der Gipfelkette war etwas heikel aufgrund von gefrorenem Schnee in den (wenigen) Passagen, wo die Route durch die Nordflanke führt. Vom Heustock sind wir direkt zum Heustockfurgell abgestiegen und von dort über den Wanderweg zurück über den Schlafleger zum Bärenboden. Den Grat kann man auf der Südflanke aber auch „unterwandern“ (weglos), etwa der 2300-Höhenkurve folgend bis zum Heustockfurggel. Hier einige Bilder dieses Traumtags:
Vom Heustockfurggel geht es wieder hinunter zum Schafleger (links der Mitte)