Aktualisierter Beitrag aus 2014, am Ende ergänzt mit neuen Fotos
Seit der Erstbegehung mit meinem Vater im September 2005 zieht es mich immer wieder auf den Gemsfairenstock. Der erste, aber nicht höchste Gipfel der Claridenkette steht im Schatten seiner Nachbarn. Er sieht auch nicht besonders auffällig aus, von der Quaibrücke in Zürich ist er nur mit geübtem Auge erkennbar. Aber seine Besteigung und Umgehung bietet wirklich alles, was es für eine höchst abwechslungsreiche, spannende Hochtour braucht.
Meine Viertbesteigung beginnt an der Bergstation der Fisetenbahn, die dem Wanderer vom Urnerboden aus die ersten 600 Höhenmeter erspart. Anstatt nun gleich die (seit 2019 blauweiss markierte) Route über den Grat zum Gipfel in Angriff zu nehmen folgen wir diesmal dem rotweiss markierten Wanderweg zur Claridenhütte. Das Wetter ist noch etwas unsicher, tiefhängende Wolken lassen uns lange in Ungewissheit, ob die Tour wie geplant vollendet werden kann. Weiter oben soll die Sonne scheinen – wir hoffen, dass sich das bewahrheiten wird.
Die letzten 400Hm zur Hütte sind ein „Chrampf“. Im steilen Zickzack führt der Pfad durch das feine Kies zur Felsnase, worauf die Hütte steht. Nur gerade die letzten 200m sind hier wirklich reizvoll, wo der Pfad kettengesichert entlang des Wändchen auf das Plateau führt. Aber eben – wir sehen eh fast nichts.
Tatsächlich finden wir die Sonne genau auf der Höhe der Hütte. Die Wolkendecke bewegt sich auf und ab, der Westwind drückt sie nach unten, die Thermik schiebt sie wieder hinauf. Der Helikopter, der die Hütte versorgen will, dreht nach vergeblichen Landeversuchen wieder ab. Wir schauen dem Treiben vergnügt zu und verschlingen zur Stärkung ein Stück der Linzertorte, die die Hüttenwartin gerade aus dem Ofen genommen hat.
Wenige Hundert Meter weiter oben, wo die Route den Weg verlässt und durch eine Moränenlandschaft an die Gletscherzunge des Claridenfirn führt, entscheiden wir uns für ein „Go“. Wir vertrauen darauf, dass der Wind die Oberhand behält und uns die Sicht zumindest für die nächste Stunde freihält, in der die Orientierung oberste Priorität hat. Beim Zungensee betreten wir den Gletscher und steigen zur Lücke hoch, der uns den Aufstieg auf den Gipfelgrat erlaubt. Hinter uns „kocht“ die Wolkendecke vor dem Tödi, immer wieder greifen wir zur Kamera, um diese Bilder festzuhalten. Die letzten Meter zur Lücke sind anstrengend, rund 50 Höhenmeter müssen durch einen äusserst steilen, rutschigen Schutthang bewältigt werden, die Schlüsselstelle der Tour.
Auf dem Grat erwartet uns nicht unerwartet die Situation „Ostseite Sonne, Westseite Nebel“. Da die spätere Abstiegsroute jedoch ausreichend mit Steinmännchen markiert ist, beunruhigt das nicht weiter. Eine Viertelstunde später erreichen wir den Gipfel. Ich bezeichne diese Kanzel da oben immer gerne als „Wohnzimmer des Tödi“, so wunderbar lässt sich hier die Sicht auf diesen Glarner Riesen geniessen. Aber auch der Blick auf das Claridenfirn lässt das Herz höher schlagen. Die Fernsicht ist eingeschränkt, aber die Wetterkapriolen sorgen für mehr als genug Unterhaltung.
Und dann passiert das, womit wir nicht mehr gerechnet hatten: Beim facettenreichen Abstieg dreht der Wind, und im Nu sind die Wolken weg. Die Windjacke weicht, und die letzten Höhenmeter zum Fisetenpass werden mit T-Shirt only vernichtet. Trotzdem werden die Steinmännchen geschätzt, ohne sie wäre die Wegfindung anspruchsvoll. Wir nehmen uns aber auch genug Zeit, um die vielen bizarren Felsformationen zu studieren. Insbesondere die „Riesenlöcher“ im Grat (auf der LK 1:25000 als „Rund Loch“ bezeichnet) üben ihre Faszination aus.
Gemsfairenstock, wir kommen wieder – und vor allem wieder in dieser Reihenfolge! Die hässliche Gegensteigung im Fisetental war immer ein kleiner Spielverderber für müde Beine, am Anfang der Tour ist sie nur eine Episode zum Aufwärmen.
Tourdatum: 27. August 2014
Kartenausschnitt Gemsfairenstock (pdf)
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Nachtrag vom 16. August 2019 (mit Cuno): Seit diesem Sommer ist die Strecke zwischen Claridenhütte, Gemsfairenjoch und Fisetenjoch neu blau-weiss markiert (Via Glaralpina). Der Aufstieg respektive Abstieg vom/zum Joch vom Claridenfirn ist im Vergleich zu früher etwas schwieriger geworden. Der Schutt rutscht immer mehr hinunter und es werden zunehmend blanke Felsen frei. Irgendwann wird man einen Aufstieg durch die Felsen südlich vom Joch suchen müssen.
Nachtrag vom 15. August 2024 (alleine): Bei prächtigsten Wetter in umgekehrter Richtung. Nach dem Abstieg vom Joch – unverändert anspruchsvoll – habe ich diesmal die blaumarkierte Route zur Hütte genommen. Der ursprüngliche Route (siehe Karte), etwas weiter unten am Zungensee vorbei würde ich jedoch weiterhin bevorzugen. Im Aufstieg zum Gipfel haben die blauweissen Markierungen die Wegfindung in diesem sehr spannenden Gelände massiv vereinfacht.
Ein paar Impressionen:
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