Hoch über Grindelwald thront die Glecksteinhütte auf einer grünen Kanzel am Fuss des Wetterhorns. Der abenteuerliche, höchst abwechslungsreiche Hüttenweg führt ins Reich der Steinböcke und in die Arena des oberen Grindelwaldgletschers. Wer ihn anfassen will, folge mir auf dem alpinen Weg zum Beesebärgli.
Es ist eine Tour voller Erinnerungen. Sie beginnt beim Hotel Wetterhorn in Grindelwald, das Ziel meiner allerersten Bergwanderung als sechsjähriger Junge mit meiner Grossmutter. Damals konnte man von hier in wenigen Minuten zur blauen Zunge des Oberen Grindelwaldgletschers laufen und diesen über eine abenteuerliche Treppe betreten. Oma traute sich nicht, sah mir aber die Enttäuschung an – und kaufte mir ein Ticket. Ich stieg mit zittrigen Beinchen alleine auf das Eismonster – unvergesslich! Meine Eltern schimpften abends mit Oma, aber sie lachte nur. Und ich war stolz wie ein Everest-Besteiger. Der berühmte Gletscher wuchs von 1959-1985 nochmals bis auf 1200m hinunter, seither zieht er sich rapide zurück. Wuchtig und lebendig ist er auch heute noch.
Heute lass ich hier mein Auto stehen und besteige das Postauto zur Grossen Scheidegg. Dieses hievt mich auf 1550m zur Haltestelle „Abzweigung Gleckstein“, ein guter Ausgangspunkt für die Tour. Schon von der Strasse aus sehe ich den schmalen, sehr ausgesetzten Ischpfad, der sich der mächtigen Wetterhornwand entlang hochschleicht. Der Einstieg in dieses Abenteuer erfolgt über das „ewige“ Schneefeld, ein alljährlich neugenährter Lawinenkegel am Fuss der Wand. Meine Aufmerksamkeit gilt zunächst aber noch dem Eiger weiter vor mir, der mit seinem frisch verschneiten Gipfel zum Anbeissen aussieht.
Mit 14 bin ich hier zusammen mit meiner Schwester (12) und meinem Vater zum ersten Mal hoch. Er muss ein Urvertrauen in uns gehabt haben – oder er wusste es einfach noch nicht besser, hatte doch auch er nur gerade ein Jahr mehr Bergerfahrung als wir Kids. Die Website der Hütte empfiehlt, Kinder unter 10 ans Seil zu nehmen… aber seht selbst – es braucht trotz der vielen Stahlseile etwas Mut.
Nach einer halben Stunde Kribbel-Genuss erreiche ich die Bergkante oberhalb der alten Bergstation „Enge“ des Wetterhornaufzugs, hier dreht der Pfad ins Gletschertal. Es bleibt wieder etwas Zeit für Nostalgie: Die Bahn wurde 1908 als erste Luftseilbahn der Schweiz eröffnet. Die Vision des Gründers war, mit drei weiteren Sektionen auf das Wetterhorn zu gelangen. Doch dann kam der Krieg, die Touristen blieben aus und das kühne Werk wurde 1915 für immer stillgelegt. Immerhin hat man die exponierte Bergstation vor einigen Jahren ein bisschen restauriert, sonst wäre dieser Zeitzeuge wahrscheinlich längst von der Felskante ins Tal gedonnert.
Zurück zur Tour: Der Pfad ist jetzt weniger ausgesetzt wie auf dem Ischweg. Der Blick hinunter in die tiefe Schlucht, wo die Toteisreste der alten Gletscherzunge liegen, ist dennoch nichts für schwache Nerven. Lieber richte ich meine Augen etwas sehnsüchtig auf das Schreckhorn (bleibt wohl für immer auf meine Bucketliste) und die blauglänzenden Türme des Gletscherfalls hoch über mir. Derweilen staune ich, wie aufwendig und kunstvoll der schmale Weg aus den Felsen geschlagen wurde. Er ist wesentlich einfacher geworden (nie über T3) als früher – aber nicht weniger spektakulär! Ich bin froh drum.
Auf knapp 2100m dreht der Pfad aus der Schlucht und mündet in die steinigen Matten unterhalb der Glecksteinhütte – und damit in das Vorzimmer des Gletscherparadieses. Wow! Die nächsten zehn Fotos werden geschossen….
So erreiche ich beschwingt die Gleckstein und lasse wieder Erinnerungen schwelgen. Meinen zwanzigsten Geburtstag feierte ich hier… oder war es der Neunzehnte? Das ist lange her! Der Gletscher war noch viel grösser, aber dafür entdecke ich heute etwas, was es damals nicht gab (und auch nicht auf der Wanderkarte eingezeichnet ist): Einen blauweiss markierten Rundweg zum „Beesebärgli“. „Rundweg“ ist vielleicht das falsche Wort, aber die Aussicht, direkt an die Seracs des Gletschers heranzukommen, ist verlockend und gibt mir einen mächtigen Energieschub. Ich rufe dem Hüttenteam zu, dass die Rösti noch warten müsse, dann ziehe ich los.
Die Route ist sehr gut markiert – aber anspruchsvoll. Ich beginne mit der oberen Route. Zunächst geht das einfach über Gras und Schutt gemächlich hoch. Ein paar Schafe blöcken den Störenfried an, bieten aber gleichzeitig ein schönes Fotosujet.
Dann geht es zur Sache: Ein Bach wird mit Hilfe eines Seils überwunden, danach greifen meine Hände den Fels um ein Wändchen zu überwinden. Später taucht die Route in eine enge Rinne ab, führt über ein schmales Band hinaus und mäandert dann durch gletschergeschliffene Blöcke. Schliesslich erklimme ich nach einem giftigen, letzten Aufstieg durch Schutt problemlos dieses „Beesebärgli“ auf 2650m – und stehe direkt vor dem Gletscher! Super!
Ich kriege wohl nie genug von diesen Eisfällen mit ihren Seracs, dem Tosen des Wassers unter dem Eis und den skurrilen Spalten und Drehungen dieser Eispanzer. Heute spielt der Wind noch mit ein paar Wolken, die die Szenerie noch gewaltiger erscheinen lassen. Ein Traum. Es berührt mich tief, ich spüre mein Augenwasser. Der Wind lässt es leise trocknen.
Nach einem herzhaften Glücksseufzer mache ich mich etwas unwillig auf den Abstieg und wähle diesmal die untere Route. Sie ist wesentlich einfacher als die obere, mit einer Ausnahme: die Bachtraversierung und eine 50 Meter Wand. Hier hat ein früherer Hüttenwart ein echtes Kunststück vollbracht. Eine Kombination von Tritten, Stahlsprossen, einer Strickleiter, einem Seil über den einen Bach und einem Brücklein über den anderen. Das ist echt cool – und nochmals ein kleines Abenteuer für Bergjunkies.
Die letzten 10 Minuten zurück zur Hütte sind wieder Genusswandern. Bald dampft die Glecksteinrösti vor mir auf dem Tisch. Zeit für Genuss und Entspannung – ich nehme mir genug davon. Auch Zeit für ein anregendes Gespräch mit zwei aufgestellten Emmentalerinnen. Es tut gut, die grossartigen Eindrücke des Tages gleich in Worte zu fassen.
Den Weg zurück beschreibe ich nicht mehr. Es ist derselbe. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich anstatt zur Bushaltestelle etwas weiter zum Ischbeizli beim Alpenvogelpark hinunterlaufe. Dort gibt’s ein Bier und bald den Bus zurück zum Hotel Wetterhorn.
Tourdatum: 6. September 2024
Schwierigkeit: Bis zur Hütte T3, Beesebärgli T4
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Phantastisch & so wunderbar beschrieben. Danke fürs Teilhaben, Edwin…
Erinnerungen werden auch bei mir wieder wach. Beste Berggrüsse zurück, Priska
Sehr eindrucksvoll lieber Edwin und wie immer mit wunderschönen Bildern untermauert.
Danke, dass du uns an diese wunderschönen Orte immer wieder mitnimmst.
Wenn man nicht schwindelfrei ist, bleiben einem leider diese phantastischen Begehungen immer etwas verwehrt.
Lieber Gruss
Vielen Dank Edwin. Auch diese Tour mit den Bildern und der Beschriebung, einfach toll. Lese deine Berichte immer gerne.
Wunderschöne Tour mit fantastischen Bildern! Den Aufstieg zur Glecksteinhütte habe ich mehrmals „gemacht“. Die erste Tour in jungen Jahren ab Rosenlaui via Grosse Scheidegg! Am Folgetag via Wetterhorn – Rosenlauigletscher – Dossehütte zurück nach Rosenlaui. Ich weiss nicht, ob die Tour heute noch so machbar ist, nicht nur wegen meines fortgeschrittenen Alters und der nachlassenden Kondition 😉 😉
Das ist immer noch die klassische Bergsteigerroute! BG Edwin
Seit Jahren besuche ich 2-jährlich die Glecksteinhütte. Immer ein Highlight. Danke für die tollen Bilder. Geplant war die diesjährige Tour in der 3. Septemberwoche. Daraus wird wohl nix aus Wettergründen.