Der wilde Ritt zum Albignasee

Die dritte und letzte Etappe unserer Bergell-Runde ist die Wildeste. Sie führt von der Fornohütte über eine exponierte Steilflanke zum Pass da Casnil Sud und durch ein Blocklabyrinth hinunter ins Albignatal. Dort erwartet uns neben der verlockenden Speisekarte in der Albignahütte das Postkartensujet des gleichnamigen Stausees. Eine Tour für geübte Berggänger.

Nach einer guten Nacht im Doppelzimmer der Fornohütte begrüsst uns der Bergmorgen in seiner vollen Pracht. Das Panorama auf Fornogletscher und Torronegruppe ist phänomenal. Das Morgenrot ziseliert einen märchenhaften Zauber auf unsere Netzhaut. Perfekt!

Kann ein Tag besser beginnen?

Auf der Gegenseite des Tals wartet hingegen harte Arbeit. Wir erahnen die Routenführung und fragen uns, was uns auf dieser blauweiss markierten Route wohl erwarten wird. Doch zunächst gwagglen wir gemütlich mit unseren gut frühstücksgefüllten Mägen auf dem rotweiss markierten Hüttenweg zum Brücklein über die Orligna ab, das wir eine knappe Stunde später erreichen.

Bei der Brücke: Die Seitenmoränen deuten an, wie dick der Fornogletscher mal war

Die blauweisse Markierungen zum Pass da Casnil Sud (was für ein komischer Name …) machen gleich klar: Hier gibt es nichts gratis. Kein Pfad sondern nur Wegweiser durch die Steinwüste. Den Rest musst du selbst finden. Die Flanke hat es auch gleich in sich. Innert Kürze schmelzen die Höhenmeter dahin. Die Pumpe schlägt bald in hoher Frequenz, ich muss ein gutes Gleichgewicht zwischen Krafteinsatz und Atemreserven finden. Bei Punkt 2404 wird aus der Flanke Felsen. Ketten helfen über diese Stufe hinweg. So erreichen wir ein Band, das uns in wundersam einfacher Weise durch diese Wand führt. Manchmal etwas ausgesetzt, sehr steil, aber immer wieder durch Ketten und Eisentritte entschärft und unterstützt. Das macht Spass so! Aber ehrlich gesagt – lieber hinauf als hinunter!

Es geht zur Sache …
Die Ketten sind ein Muss
Das wundersame Grasband durch die Felsen

Knapp über 2650m Höhe flacht es kurz ab. Wir betreten einen Blockboden, der einen herrschaftlichen Blick auf die Berg- und Gletscher-Granden des Val Forno bietet. Der perfekte Moment für eine (Foto)-Pause und einen Blick übers Tal zur Hütte, die wir vor zwei Stunden verlassen haben. Auch der Monte del Forno grüsst jetzt freundlich, den wir gestern nur in und aus den Wolken gesehen haben.

Der „flache“ Boden

Die Route wechselt jetzt wieder in den Steigmodus. Bald helfen uns wertvolle Ketten zur Überwindung eines steilen Grabens. Danach wird es einfacher, aber nicht weniger anstrengend. Über die Blöcke der Endmoräne eines verschwundenen Gletschers erreichen wir einen Talkessel unterhalb des Passes – und nach einigen Schweisstropfen mehr dessen Scheitelhöhe. Geschafft! Das waren anspruchsvolle 700 Höhenmeter!

Die gut gesicherte Schlüsselstelle durch den Graben
Ein Überlebenskünstler
Blöcke, Blöcke… noch eine halbe Stunde schwitzen bis zum Pass da oben

Auf dem Pass werden wir natürlich belohnt. Das grosszügige Albigna-Tal, aber insbesondere der Cantungletscher und die gleichnamige Cima stechen ins Auge. Wir ruhen richtig aus, bevor wir den Abstieg unter die Füsse nehmen … der beginnt allerdings zunächst mit einem kurzen Aufstieg.

Die Cima da Cantun und ihr Gletscher
Ein Blick zurück auf die Torrone-Gruppe

Auf dem höchsten Punkt der Tour (2970m) drehen wir in ein Blockfeld gigantischen Ausmasses ein. Die blauweissen Markierungen wirken wie Schiffchen in einer wilden See. Vorsichtig jonglieren wir über die Blöcke. Das kostet Zeit. Einige hundert Meter später erreichen wir einen felsigen Rücken, der es etwas besser meint mit uns Zweibeinern. Der Abstiegsrhythmus erhöht sich, bedingt aber immer noch viel Geschick und höchste Aufmerksamkeit. Erst als wir auf 2600m die Seelein unterhalb des Piz dal Pals erreichen, wird das Wandern etwas chilliger.

Jongleur Reto im wogenden Meer der Blöcke
Albignasee in Sicht ….

Dafür begrüssen uns hier die Murmeli, und wenig später erreichen wir die Albignahütte. Diese liegt neckisch über dem Albignastausee mit grossartigem Blick auf die Gletscher. Wir haben jetzt Hunger und Durst – und dafür bietet die Hütte beste Therapien! So verschlingen wir zuerst eine Portion Tagliatelle di Castagna mit einer feinen Schweinswurst und dann gleich noch ein grosses Stück Aprikosenwähe obendrauf. Wunderbar!

Endlich wieder grün … im Murmeliland
Das war also sehr fein ….

Die Hütte ist gut besucht zur Mittagszeit. Sie ist eben nur knapp 30 Minuten vom Staudamm entfernt, die ihrerseits easy mit einer kleinen Werksbahn (8 Personen) erreicht wird. Und diese kurze, einfache Wanderung ist wunderschön! Wir steigen über runde Granitplatten an, die mich stark an die Grimselregion erinnern. Auf der Mauer selbst (700m lang!) muss ich gleich 5x anhalten um ein immer noch besseres Foto zu knipsen. Hoffentlich gefällt es Euch auch!

Blick von der Staumauer zurück zur Hütte (Bildmitte auf der Anhöhe) und zum nahenden Wolkentanz

Dann hüpfen wir in die Bahn und machen uns müde und zufrieden auf den langen Weg zurück nach Zürich (vier Stunden mit Bus und Bahn). Bergell, ich komme wieder!

Tourdatum: 23. August 2024

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Kartenausschnitt Casnil-Pass (pdf)

1 Kommentar

  1. So toll, wie du diese Strecke beschreibst! Hab grad wieder alle Bilder vor mir gesehen, als ich dort unterwegs war…
    Liebe Berggrüsse, Annette

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