Dies ist der erste Beitrag einer Bergell-Trilogie. Die dreitägige Tour beginnt im Avers, führt über den steinigen Bargalgapass ins einsame Val Duana und später durch das Val Maroz und über den Septimer-Römerweg nach Casaccia. Das Highlight ist der kleine Abstecher auf den Duana-Pass, wo uns ein einzigartiges Schaufenster ins Bergell erwartet.
Schon die Fahrt ins Avers ist ein Erlebnis. Das Postauto schlängelt sich nach Andeer durch eine enge Schlucht ins Tal, das wohl die meisten Schweizer nicht kennen. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war hier im Winter kein Durchkommen. Weiter oben wird es breiter und endet in einem grünen Paradies für Kühe und Murmeltiere oberhalb der Baumgrenze, das sich bis Juf, der höchsten bewohnten Siedlung der Schweiz auf 2100m zieht. Wir steigen aus beim Hotel Bargalga (Haltestelle Rufana) und beginnen hier – nach einem feinen Stück Nusstorte (frisch aus dem Ofen!) – unsere kleine Expedition „Bergell-Umrundung“.
Die ersten Kilometer führen uns über einen flachen Alpweg zur Alp Bargalga. Hier bleibt viel Zeit und Atem, um Reto zu erklären, warum ich das Bergell von hier aus entdecken will. Ich erkläre ihm, wie die Averser Bauern in alten Zeiten die 800Hm zum Pass unter die Füsse nahmen, um dann bis zu 2500Hm (!) ins Bergell abzusteigen. Dort verkauften sie ihre Waren und kehrten schwer beladen mit Einkäufen wieder nach Hause zurück. Vielleicht noch mit einer Nacht bei einer hübschen Chiavennerin dazwischen…
Unsere Gespräche werden unterbrochen durch die kecken Pfiffe der zahlreichen, wenig scheuen Murmeltiere, die hier im Dutzend herumtollen. Infotafeln klären uns am Wegrand über die Lebensweise dieser gefrässigen Gebirgsnager auf. Dann beginnt die Steigung und die Landschaft wird immer reizvoller, je mehr wir uns dem Bargalga-Pass nähern. Der Aufstieg endet mit einem kurzen, scharfen Aufstieg durch Blöcke, dann stehen wir schon auf dem höchsten Punkt des Tages.
Viel „Bergell“ sehen wir hier noch nicht, dafür aber eine endlose Mondlandschaft aus Blöcken, verziert mit kleinen Seen. Wunderschön! Wenige Blümchen zeugen von Leben, aber wie sich die zwei Steinböcke ernähren, die vor uns auftauchen, bleibt uns ein Rätsel.
Wir folgen den Wegweisern hinunter ins Val Duana, zweigen aber bald wieder südlich ab zum Duana-Pass. Der kleine Abstecher „kostet“ 50 Höhenmeter und je 10-15 Minuten Weg – aber die lohnen sich! Denn als wir die Wasserscheide erreichen, werden wir mit einer erstklassigen Sicht auf die kecken Bergeller Granitgranden und Gletscher beglückt. Wow – was für ein Schaufenster!! Die Abbruchstelle des dramatischen Bergsturzes am Piz Cengalo lässt uns schaudern, der mächtige Gletscher am Pizzo Castello glitzert um die Wette, und und und. Ein wunderbarer Auftakt unseres Bergellabenteuers!
Nach einer ausgedehnten Lunch- und Genusspause kehren wir um und tauchen wieder ins Val Duana ein. Das fast flache grüne Hochtal mit seinen zwei grossen Seen und dominiert vom mächtigen Piz Duan ist wohl etwas vom einsamsten was es gibt in der Schweiz. Wir sehen keinen Menschen, es ist schön still und rein! Auch die klaren, türkisblauen Seen würden zum Bade laden. Wenn nur die Schafherde am Ende des Tals nichts gewesen wäre. Oder genauer, ihre Herdenhunde. Die Biester finden es gar nicht cool, dass wir den Pfad benützen, wo ihre Schützlinge ausgerechnet grasen wollen…. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als einen grossen Bogen zu ziehen, unter lautem Gebelle und Drohgebärden aus unangenehmer Nähe. Janu, das ging schnell vorbei. Aber richtig lustig ist das nicht.
Trotzdem, das Val Duan ist zauberhaft – und wie abgelegen es ist, merken wir auch nochmals, als wir über eine sehr steile Rampe in kürzester Zeit mehr als 400 Höhenmeter ins tiefere Val Maroz absteigen müssen. Dort erwartet uns „normales“ Wandern über ausladende Kuhweiden bis hin zur Einmündung des Seitentals, das auf den Septimerpass führt.
Jetzt ist es auch wieder belebt. Der Septimer „zieht halt“. Es ist aber auch wirklich ein spezielles Gefühl, im Abstieg nach Casaccia über den alten Römerweg zu laufen, dessen sorgsam ausgerichtete Steinplatten (diese gibt es aber erst seit dem Ende des 14. Jahrhunderts) den beschwerlichen Handel über die Alpen erlaubten. Diese Abkürzung vom Bergell ins Bündnerland wurde allerdings bald durch die viel längere, aber weit weniger ausgesetzte Route über Maloja und Julier abgelöst.
Einsamkeit, Schaufenster und Geschichte – mehr als zufrieden kommen wir nach der langen Tour im obersten Dorf des Bergells an. Die müden Beine schätzen das Postauto, das uns über die eindrücklichen Kehren der steilen Rampe auf den Maloja hievt. Wir kehren im „Schweizerhaus“ ein und freuen uns auf die Dusche, den feinen Znacht und das weiche Hotelbett für die erste Nacht.
Tourdatum: 21. August 2024
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Super – vor 50 Jahren habe ich mit einem Freund die Tour auch gemacht. Heute machen wir bescheidenere Junggreisenwanderungen.
Danke Edwin
Tolle Tour in selten einsamer Umgebung!
Gratuliere!
Lieber Edwin,
im 2011 hatte ich „nur“ den Piz Duan 3131m bestiegen.
Das war konditionell einer meiner strengsten Touren, strenger als manch 4000er im VS.
Hier mein Web-Eintrag aus dem 2011: https://kley.ch/hansjoerg/2011/2011_3/2011_3_12.html .
Ein Blick auf diese Seite veranlasste mich, diese Seiten nun W3C-konform zu schreiben (https://www.w3.org/).
Der Kommentar von Peter Alig (Wir sollten uns aus Chur kennen!!) hat mich motiviert, hier auch ein Lebenszeichen zu setzen: Es geht mir genau gleich wie Peter: Sehr deutlich bescheidenere und einfachere Touren -> https://kley.ch.