Vom Domleschg und vom Safiental gesehen erscheint er unbezwingbar, vom Schams lockt er als gutmütiger Wanderberg. Der Piz Beverin hat viele Gesichter und viel Potenzial für Wanderlatein. Ich besteige ihn über die alpine Route vom Glaspass aus und verlasse ihn im Schamser Dörfchen Mathon. Dazwischen liegen gröbere Abgründe, spannende Kettenwege und die berühmte Leiter.
Das Poschti in Thusis ist knallvoll. Ich überlasse meinen Sitzplatz einer älteren Dame und geniesse die Fahrt den Heinzenberg hoch zur Tschappina (Glaspass) am Fenster stehend. Keck erhebt sich die schlanke Spitze des Piz Beverin hoch über mir. „Komm nur“ flüstert sie mir zu, „wie gerne!“ raune ich zurück.
Auf dem Pass entleert sich das Postauto. Ich bin der einzige, der den Pfad zum Beverin einschlägt. Die blaumarkierte Route – es sei hier gewarnt – ist ein Leckerbissen für sehr erfahrene, schwindelfreie Berggänger. Und die Regenfälle der letzten Wochen werden die heiklen Passagen wohl noch erschwert haben.
Der Pfad steigt zunächst durch Wiesland auf den Grat. Eine grosse Herde Rindli grüsst freundlich – sie geniessen das fette Gras und ich die schöne Sicht über den Heinzenberg auf das Domleschg. Rasch erreiche ich die Hoch Büel (2100m) und blicke nun auch ins Safiental. Ich spähe auf die andere Talseite und entdecke bald das „Nühus“, wo ich heute Nacht schlafen will. Doch davon später.
Der Wegweiser wird jetzt blau und es geht gleich zur Sache. Ich steige auf den exponierten „Chräjechopf“, so heisst der Grat aus Felsen und Schrofen, der auf beiden Seiten scharf abfällt. Der Pfad ist schmal aber gut – nur sind immer wieder Teile durch den Starkregen abgerutscht, oder es tun sich lange Risse in den Boden. Das fühlt sich ehrlich gesagt nicht so gut an. Hält das noch, wenn ich meine 90 Kilo draufstelle?
Nach der Gemschlügga wird es nochmals exponierter, auch der Pfad hat hier echt gelitten. Es wird mir etwas mulmig, gleichzeitig sind es gerade diese Adrenalinkicks, die die blauweissen Routen oft so reizvoll machen. Und die nun gut sichtbare Westwand-Traversierung des Beverins macht mich schon sehr an …. Doch da kommt mir ein Paar entgegen, das umgekehrt ist. „Ist der Pfad ganz weg“, frage ich. „Nein, aber da oben sieht es zu glitschig und exponiert für uns aus“, meinen sie und zeigen auf ein Schneefeld und eine Felsenpassage. „Mhh“, denke ich, „was nun“? Zum Glück habe ich meine Spikes im Rucksack und umdrehen kann man ja immer. Wenig später erreiche ich den Einstieg in die heikle Traverse und schaue mir das lange in Ruhe an. Und ja, aus der Ferne sieht immer alles schlimmer aus als aus der Nähe. Also gehe ich vorsichtig weiter.
Tatsächlich komme ich hier dank der Stabilisierung meiner Stöcke und den zur Sicherheit montierten Spikes gut durch. Nur mehr Schnee darf es nicht in dieser Passage haben. Denn ein Ausrutscher ist hier wirklich nicht zu empfehlen. Und eben – Schwindelfreiheit ist eine Grundvoraussetzung. Aber das Abenteuer macht Spass und wenig später erreiche ich die „sichere“ Beverinlücke und damit das Ende der Alpinroute.
Knapp unterhalb der Lücke treffe ich auf den Wanderweg, der vom Schams auf den Gipfel führt. Das folgende Teilstück führt durch mächtige Felsbrocken. Reizvoll und gut kettengesichert. Bald erreiche ich den Vorgipfel, der mit minimalistischer Flora überwachsen ist – auch schön! Noch ein paar Minuten und ich stehe auf dem ausladenden Gipfelplateau, auf dem es Platz für ein ganzes Bataillon gäbe. Was für ein Kontrast mit der wilden Nordwest-Seite!
Der Piz Beverin steht praktisch frei und erlaubt eine fast 360 Grad-Fernsicht. Ich will die Berge gar nicht alle aufzählen, die sich hier aufreihen. Herrlich! Und klar- natürlich verleitet das Teufelchen in mir, dass ich noch schnell auf die Vorspitze klettere, die sich vom Glaspass so neckisch präsentiert. Die kurze Kletterei ist etwas ausgesetzt, überschreitet den Schwierigkeitsgrad II aber nicht.
Für den Abstieg wähle ich die Route über den breiten Südost-Gratrücken, der bei Punkt 2770 enger wird und mit dem nächsten Highlight aufwartet: Eine acht Meter hohe Leiter, die mich über eine senkrechte Wand auf ein schmales Plateau hievt, von wo sich der Abstieg über den begrasten Gratrücken fortsetzt. Weiter unten treffe ich auf die Aufstiegsroute, die zur Beverinlücke führt. Zwischendurch mein Tipp für jene, die den Piz Beverin vom Schams aus besteigen: Über die Lücke und den Kettenweg hoch, über den Leiterngrat runter. Nicht umgekehrt!
Bevor ich nun den (langen) einfachen Abstieg über das Schamser Hochland und später durch den Wald nach Mathon unter die Füsse nehme, freue ich mich über die clevere Idee eines Älplers. Er hat den Wassertrog für seine Kühe mit PET-Flaschen gefüllt: ein Topservice für den durstigen Wanderer! Selbstbedienung gegen Vertrauen. Respekt, ich habe das gerne genutzt, das Schorle war fein!
Durch die blumenreichen Weiden surfend und fotografierend erreiche ich die Alp Mursenas (hier könnte man sein Auto parkieren). Dann stehen nochmals 400Hm Abstieg durch Wald und Wiesen an, bis ich das malerische (und verschlafene) Dorf Mathon erreiche, von wo mich das Postauto bequem ins Tal hinunterbringt.
Gut zwei Stunden später (4 Busfahrten, 2 Zugfahrten) stehe ich wieder auf der anderen Seite des Piz Beverins und bewundere seine Westwand im Abendlicht. Ich sitze jetzt auf der Terrasse des winzigen (nur sechs Zimmer grossen) Hotel Nühus oberhalb von Safien Platz. Ein kühles Bier, der Stille um das mit viel Liebe renovierte (und geführte) 200-jährige Walserhaus und die frischen Erinnerungen an die kleinen Abenteuer am Berg hoch über mir vollenden den perfekten Tag.
Tourdatum: 25. Juli 2024
Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Schwierigkeitsgrad: Aufstieg T4 (blauweiss), Abstieg T3 (rotweiss)
Danke Edwin für den wieder tollen Wanderbericht.
Für einen, dem vor zwei Wochen ein Knie-Vollprothese montiert wurde, sind deine Berichte und Bilder eine tolle Verkürzung der Langeweile. Hoffe irgendwann auch wieder auf Höhen und Gipfeln stehen zu können und bei Hütten gemütlich was zu konsumieren.
liebe Grüsse Otto Beck