Hoch über dem Genfersee thront der Mont Tendre – der höchste Juragipfel der Schweiz. Er ist Teil der Nationalen Wanderroute 5. Aber mit Christian läuft das natürlich anders. Wir folgen dem Gratverlauf zwischen dem Col de Mollendruz und dem Col de Marchairuz mehrheitlich abseits der Wege. Mit diesem Crosswalk kommen wir zu einigen Höhenmetern mehr, aber vor allem zu einem höchst abwechslungsreichen Erlebnis. Und das an einem stürmischen Föhntag mit perfekter Sicht auf den Mont Blanc.
Es zieht sich von Zürich nach Pètra Felix, unserem Ausgangspunkt am Col de Mollendruz (3 Std). Aber es ist genial, wie perfekt unser öV uns mit drei aufeinander abgestimmten Zügen und einem Postauto auf diesen einsamen Jurahöhenzug hievt.
Christian führt heute das Szepter, von ihm lerne ich auch wieder viel über neue Apps und andere technische Gimmicks, die das Alpinwandern vereinfachen. Im Jura gelingt das Laufen abseits der Pfade in der Regel gut. Die Wälder sind nicht dicht bewachsen, es gibt viel offenes Grasgelände und wenig Felsstufen, Runsen, Gräben und Abbrüche. Perfektes OL-Gelände.
Zunächst sind es gute Pfade, die uns auf die erste Erhöhung führen, die Haut de Mollendruz. Später laufen wir über Trockenwiesen und übersteigen hin und wieder eine dieser typischen Trockenmauern, die wir im Jura überall antreffen. Nach dem Abstieg durch den Wald schleusen wir in die Route 5 ein. Angerostete Erinnerungstafeln mahnen an die Aktivdienstzeit.
Wir folgen dem Strässchen nur kurz, dann zweigen wir bei Punkt 1291 (sic!) ab und steigen durch den Wald hoch auf Le Risel. Hier erwartet uns ein überwältigendes Panorama über das Mittelland und den Genfersee zur Alpenkette: von Eiger, Mönch und Jungfrau bis zum Mont Blanc – alle zum Anfassen nah. Föhn sei dank. Aber der älteste Urner bläst dafür auch ziemlich deftig. Ich ziehe die Kapuze meiner Softshelljacke über die Ohren und zippe sie zu.
Nun folgt ein absoluter Genussteil – nur noch leicht steigend folgen wir der Trockenmauer, die sich wie eine gerade Linie kilometerlang über den Grat zum Gipfel des Mont Tendre zieht. Was für ein Bauwerk! Auf dem Gipfel angekommen, erreicht der Föhn fast Orkanstärke. Auch die Mauer schützt da nicht. Unser Lunch wird deshalb zu einer ziemlich einsilbigen Angelegenheit – man versteht sich gegenseitig schlicht nicht mehr. Christians Worte werden genauso vom Winde verweht wie die Krümel meiner Kambly-Guetsli.
Nach unzähligen Fotos und heiterem Gipfelraten mit Hilfe des Peakfinders – auch Dent Blanche, Zinalrothorn, Grand Muveran und Matterhorn lassen sich so unterscheiden – folgen wir dem hügeligen Gratverlauf weiter. Am Fuss von La Pivette suchen wir dann aber den offiziellen Pfad und umrunden durch viel Restschnee stapfend den waldigen Nordhang des Pierre à Coutiau.
Anstatt nun aber wiederum auf Asphalt der R5 zu folgen zweigen wir nochmals ab um Direttissima durch nochmals viel Schneereste auf die nächste Erhebung, namenlos Pt. 1602 genannt – zu gelangen. Von dort surfen wir durch die wie von Zauberhand mit Millionen Krokussen bemalten Alpwiesen hinunter zur Cabane de Grand Canay.
Von dort gwaggeln wir gemütlich über den Wanderweg weiter zum Col de Marchairuz, wo die Tour für mich endet. Während Christian noch stundenlang weiterlaufen wird, hüpfe ich hier – nach einem Rivella und einem Stück Schoggi-Kuchen – in den Bus nach Allaman. Tief zufrieden mache ich mich auf den langen Weg zurück nach Hause.
Tourdatum: 6. April 2024
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
sehr schön, macht richtig gluschtig. woher nehmt ihr auch immer wieder diese ideen? und erst die fotos, wunderbar…
Lieber Edwin
Wir kennen uns leider nicht. Ich bin vor ungefähr 2 Jahren zufällig auf deine super Website gestossen und habe gleich den Newsletter abonniert. (Den einzigen überhaupt :). Ich danke dir von Herzen für die vielen Inspirationen und das Teilen deiner Touren. Ich lese alle immer mit grossem Interesse und bin bei einigen sogar auf deinen Spuren gewandelt. Ganz ganz lieben Dank und einen wunderbaren Sommer wünsche ich euch.
Was für Fotos! Tolle Tour! Ab Juli habe ich auch mehr Flexibilität – vielleicht wandern wir ja auch mal zusammen. Das Engadin zum Beispiel hat noch viele schöne Wege 😉