Es gibt nur wenig begrünte Täler in der Schweiz, die nicht Teil des offiziellen Wanderwegnetzes sind. Eines davon ist das entlegene Val Gliems am Südfuss des Tödi. Wir durchschreiten es heute auf der langen Tour von der Cavardirashütte zur Alp Russein und über die Fuorcla da Punteglias nach Brigels. Ein kaum zu überbietender Tag voller positiver Erlebnisse, aber auch ein anspruchsvoller.
Nach einem überraschend tiefen Schlaf wecken mich die ersten Sonnenstrahlen, die über den Tödi kommend über die Cavardirashütte streichen. Ich stehe rasch auf, um die feierliche Stimmung des Morgenlichts erleben zu können. Traumhaft. So ist die Stimmung gleich auf 100%, dies zusätzlich bekräftigt durch das fröhliche „Hallo“ und den frischen Espresso, den uns Hüttenaushilfe Priska serviert.
Um sieben Uhr nehmen wir den Abstieg durch das Cavardiras-Tal unter die Füsse. Die ersten 100Hm verlangen Achtsamkeit. Die Hütte liegt auf einer Felsnase, und der Pfad hinunter über Blöcke, Geröll und Schutt ist steil. Lieblich würde man das Gelände um die Hütte kaum nennen können. Doch wie so oft wird das Tal farbiger und erlebnisreicher, je weiter man nach unten kommt. Der Bach wird kräftiger, es grünt, bald hören wir das Pfeiffen der ersten Murmeltiere und noch vor der 2000m-Grenze begegnen wir den ersten Kühen.
So erreichen wir die Alp Cavrein, wo wir den markierten Wanderweg verlassen. Wir überschreiten ein Brücklein und peilen gerade über die Wiese laufend einen gut sichtbaren Durchgang durch ein kleines Felsband an. Dort treffen wir auf einen Schafspfad, der uns etwa der Höhenkurve entlang traversierend auf die Alp Russein führt. Das spart 250Hm Ab und Auf und ist erst noch schön – tipptopp! Die Alp Russein überrascht durch ihre Weite, die grünen Matten, der mäandernden Bach – ein wahrer Kraftort!
Kurz bevor der aus dem Val Glims über einen Wasserfall hinunterstürzende Bach in den Hauptbach mündet, steigen wir in den Hang und treffen auf den guten Pfad, der uns durch die dicht mit Gebüsch überwachsene Flanke auf die Schulter des Cuolm da Trun führt.
Ein schöner Aussichtspunkt, vor allem der Blick zurück ins Cavardirastal gefällt (Foto oben). Nun gilt es aufzupassen und idealerweise das GPS zur Hand zu haben. Denn die Route führt nun durch das Kraut (Heidelbeeren und anderes) etwas mühsam in der Flanke steigend zum Punkt 2268 (Foto 1 unten, bitte Kartenausschnitt genau beachten!). Etwas darunter finden wir einen spitzen Stein (Foto 2), der den Beginn einer ganz passablen Pfadspur markiert. Diesen sollte man zwingend finden, denn sonst ist die folgende Querung (ca. 500m) bis zum Einstieg ins Val Gliems extrem mühsam (Foto 3). Der Pfad führt zu einem grünen Couloir (Höhenkurve 2250m), durch das wir aufsteigen. Nun ist es einfach, ab hier gibt es auch Steinmännchen und hin und wieder eine verblasste orange Markierung.
Die Mühen des Einstiegs in das verborgene Tal haben sich gelohnt. Bald sitzen wir bei einem grossen Steinmann am Bach, der den flachen Talboden entwässert (ein ehemaliger See). Zeit für eine Pause und eine ausführliche Erkundung der Umgebung. Eine Herde Gämsen hat leider Angst und verschwindet rasch. Wir sind alleine.
Über einen Kilometer lang ist der mit zahlreichen Pionierpflänzchen überwachsene Boden, durch den sich die Schmelzwasser des Gliemsgletschers schlingen. Eine Augenweide! Doch nach dem Schlendern folgt naturgemäss der Krampf. Denn noch liegt die Fuorcla da Punteglias mehr als 400Hm über uns, und der Weg dahin führt unausweichlich über viel Geröll. Zum Glück hat sich hier streckenweise ein schmaler Pfad gebildet, der hilft. Ins Schwitzen kommen wir trotzdem zünftig, es braucht Kraft. Kurz vor der Passhöhe treffen wir auf die Pfadspur, die die aus dem Val Punteglias kommenden Bergsteiger zur Südbesteigung des Tödis nutzen. Uff. So stehen wir bald auf dem engen Pass und schütteln uns erfreut die Hände.
Der Beginn des Abstiegs ist trotz Wegspur nicht ohne Risiko. Ein blockiger, noch unstabiler ehemaliger Gletschergrund. Mitleidig schauen wir auf die die Firnreste, aber vor allem darauf, wo wir hintreten. Es ist hier Einiges in Bewegung. Doch bald konkretisiert sich der Pfad und wir treffen bald in weniger steilem Gelände ein. Der Talkessel Punteglias ist eine weitere positive Überraschung. An den mächtigen grauen Südwänden des Piz Urlaun und des Bündner Tödi hängen noch immer stattliche Gletscher. Jenen am obersten Talboden gibt es zwar schon lange nicht mehr, dafür mäandert hier das Wasser umso schöner durch das Delta..
Die Fläche endet an einem grossen Talriegel, auf der die Puntegliashütte steht. Wir freuen uns auf die Gerstensuppe und viel viel Flüssigkeit! Das brauchen wir jetzt, es ist inzwischen 13 Uhr und ziemlich warm geworden. Überhaupt ist es sehr gemütlich in dieser kleinen Hütte. Auf meine Frage, warum die Route durch das Val Gliems nicht zu einer Blau-weiss-Markierten ausgebaut wird, antwortet mir Hüttenwart Ruedi mit einem Seufzer und einem Schulterzucken. Das sei schon lange ein Plan, aber die SAC-Sektion habe sich bis jetzt nicht dazu bewegen können.
Mit vollem Magen machen wir uns an den Rest der Tour, es ist noch ein ganzes Stück. Es beginnt mit dem steilen Abstieg über den 500m hohen Riegel (hinter der sich die prächtige Hochebene versteckt) hinab zur Alp Punteglias. Dort können wir uns entscheiden, ob wir weitere 800m durch das wieder enger werdende Tälchen nach Trun absteigen wollen, oder ob wir noch mal 200m Steigung unter die Füsse nehmen, um wie geplant über die Alp Scharans knieschonend nach Brigels zu traversieren. Da Kraft und Stimmung noch gut reichen, setzen wir die Steigmuskeln wieder in Bewegung. Das ist nach soviel Abstieg zwar immer etwas giftig, aber bald läuft das Maschinchen wieder im Trott. Der wohlriechende (und kühlende!) Wald ist eine krasse Abwechslung zu den letzten Stunden im Gestein, auch die folgende Alpquerung mit weiter Sicht in die offene Surselva sind entspannend. Es zieht sich dann zwar noch ein paar Kilometer über Kiessträsschen, aber die nutzen wir zum geselligen Quatschen beim Auslaufen – und in der Vorfreude auf das selbstgemachte Glacé der Bäckerei Gabriel in Brigels.
Tourdatum: 21. August 2023
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Kartenausschnitt Val Gliems (pdf)
N.B. Die Cavardirashütte wird ab 2024 umgebaut. Es geht um Modernisieren, Energiesparen und bessere Wasserver-/entsorgung. Alles gut – für die Umwelt und die Gäste. Sie suchen noch Geld gemäss einer Broschüre, die in der Hütte aufliegt. Aber warum liest man auf der Website der Hütte nichts davon? Hier wäre der Link dazu auf der Seite der SAC Winterthur.
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