Vom Furka- zum Gotthardpass. Eine lange Tour im Auf und Ab, die oberhalb der Rotondohütte am Witewasserestock kulminiert. Sie braucht etwas Energie und Speed, wenn man auf den öffentlichen Verkehr angewiesen ist. Ein von Menschenhand geschaffener Kunstbau macht es überhaupt erst möglich.
Beginnen wir von vorne: Das erste Postauto bringt mich um 9.15 von Andermatt auf den Furkapass. Das ist spät für eine lange Tour, aber das Wetter ist stabil. Dafür konnte ich bis dahin „das Büro“ erledigen. Das war auch wichtig, denn die Funklöcher werden gross an diesem Tag.
Auf dem Wegweiser steht „Stotziger Firsten“ und „Rotondohütte“ – da will ich hin. Der Pfad folgt zunächst leicht steigend dem Hang gegenüber der Passstrasse – mit schönem Blick auf den Galenstock. Mit 12 Jahren war das meine erste, echte Klettertour, mit Führer Guschti (selig) und Hans. Hans verlor beim Klettern seine Kappe und bekam meine. Dafür hatte ich am Ende des Tages einen Sonnenstich… „Tempi passati“, schmunzle ich. Heute bin ich satt eingecrèmt und bemützt.
Bis zum Stotzigen Firsten bin ich gut eingelaufen, bald ist der Übergang ins Muttental erreicht. Dort dominiert das Läckihorn, elegant und breit fliesst sein Gletscher ins steinige Tal. Ich verstehe sofort, warum dies ein so beliebtes Skitourengebiet ist! Für mich als den Wanderer bedeutet das aber 400m runter bis zum Gletscherbach und danach wieder etwa gleich viel hinauf (im Auf und Ab) zum Tälligrat auf der gegenüberliegenden Seite. Es ist einsam und still. Die Maschine schnurrt gleichmässig und ich komme gut voran. Wirklich prickelnd ist es aber nicht, abgesehen von den paar Murmeltieren, die ihren Winterspeck aufbauen.
Das ändert sich schlagartig, als ich ins in Witenwasserental drehe. Denn da baut sich vor mir der mächtige Witewasserenstock auf. Davor glänzt sein immer noch stolzer Gletscher, breitet sich ein grosser Gletschersee aus und thront die hübsche Rotondohütte. Sie gehört meiner SAC-Sektion (Lägern), ich war zu meiner Schande noch nie da. Heute bekomme ich eine wunderbare Suppe mit Wurst, fülle meine Getränkevorräte auf und begutachte von der Terrasse den nun ernsthaft werdenden Teil der Tour.
Mein Ziel ist der Hüenderstock am Ostfuss des Witewasserenstocks. Von dort soll es über Blockgrat, Hüendersattel und Ronggegrat zum Cavanna-Pass und dann hinunter ins Bedretto gehen. Die endlose Blocklandschaft vor Augen lässt mich zweifeln, ob das zeitlich geht. Aber die Hüttenwartin lächelt nur und meint, ich solle mich überraschen lassen. Das macht neugierig. Kurz nach 13.00 Uhr breche ich auf.
Von der Hütte führt der Pfad zuerst um die Gletscherseen. Ich merke sofort, dass hier kürzlich mit viel Liebe am Weg gearbeitet worden ist. Die Blöcke und Platten sind überall kunstvoll zurechtgerückt worden, sodass sich die ganze Route wie über eine Treppe begehen lässt. Neben den frischen rotweissen Markierungen zeigen zudem weisse Punkte fast jeden Schritt an. Und das über mehrere Kilometer hinweg! Was für ein Luxus! Das nimmt zwar die Anstrengung der Höhenmeter nicht weg – der Hüenderstock liegt auf 2900m – aber der Zeitaufwand ist dadurch minim für dieses wahrlich „unwegsame“ Gelände.
Kurz vor dem Gipfel sind vier Männer an der Arbeit, sie verbessern ein abgerutschtes Stück Weg. Mit viel Geduld, von Hand, mit Kraft und auch nicht ganz ungefährlich. Grosser Respekt!
Auf dem Blockgipfel des Hüenderstocks kann ich mich nicht satt sehen an der rauhen Umgebung. Doch dann drängt die Zeit (leider reicht es deshalb nicht mehr, die noch etwas weiter oben gelegene, dreifache kontinentale Wasserscheide zu besuchen) und ich mache mich an den Abstieg über den Blockgrat zum Hüendersattel.
Auch hier: Treppen, Treppen, Treppen. Super! Der Höhepunkt menschlichen Wirkens am Berg folgt am Ronggergrat. Dieser wäre gar nicht zu passieren, wenn nicht durch endloses Aufschichten von Blöcken ein hunderte Meter langer Weg um die steile Flanke gebaut worden wäre. Das hingegen ist schon ein alter Militärweg, wie mich später ein Nachforschen im Internet aufklärt. Nochmals: Hut ab und vielen Dank allen, die an diesem Kunstwerk mitgewirkt haben!
Vom Cavannapass folgt nun ein kurzer, giftiger Abstieg auf eine steinige Alp, wo ich den markierten Wanderweg bei Pt. 2446 verlasse und der Steinaufschrift „Strada Alta“ folge. Dieser nicht (mehr) markierte Pfad quert über die Cresta di Poncionetto zum Lucendropass, ist aber aufgrund eines Abrutsches am Poncionetto leider nicht mehr begehbar. Will man also ins Lucendrotal, stehen 500 zusätzliche Höhenmeter Auf- und Abstieg auf der Agenda. Das ist mir zuviel. Auf der Karte sehe ich jedoch eine Abzweigung bei Pt. 2454, von dem ein (fast) durchgehender Schafspfad hinunter zu den Alpe dei Venei führt. Das kürzt meine Alternativroute zur Gotthardgalerie (Bushaltestelle) massiv ab. Also probiere ich das. Und zu meiner freudigen Überraschung ist diese auf der Karte nicht als Wanderweg verzeichnete Spur sogar durchgängig frisch rotweiss markiert! Das hilft enorm!
Auf dieser Alp betrete ich dann das Kiessträsschen, das zunächst leicht steigend und später flach verlaufend zur Passstrasse führt. Meine etwas müde gewordenen Beine können „auslaufen“, während ich genussvoll die Leventina und das Bedretto überblicke. Ich winke zur anderen Talseite hinüber, wo meine Ost-West-Transversale (2018-2020) verläuft und denke gerne an die Basodino-Tour zurück. Und last but not least: Ich erreiche die Bushaltestelle „Galeria“ an der Gotthardpasstrasse knapp 10 Minuten vor Abfahrt des letzten Postautos nach Andermatt (17.26).
Notabene: Wer nur das Prunkstück dieser Tour geniessen will, dem sei die Rundtour von Oberstafel im Witewasserental (Parkplatz, gebührenpflichtige Strasse von Rehalp) zu Rotondohütte, Hüenderstock und Cavanna-Pass empfohlen! Die Tour werde ich selber sicher nochmals machen. Alleine schon aus Freude an den Block-Treppen.
Tourdatum: 23. August 2022
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