Mit viel Adrenalin zur Salbitbrücke

Die Göscheneralp bietet soviel Adrenalin für Alpinwanderer wie kaum ein anderes Gebiet in der Zentralschweiz. Heute ist es die Salbitrunde, die heftige Kicks liefert. Die Überwindung der Spicherribichelen mittels Seilen und Leitern sowie die Traverse der Salbithängebrücke sind echte Abenteuer. Und weil die Tour gleich von zwei SAC-Hütten gesäumt wird, bereichern kulinarische Belohnungen das Husarenstück.

Weil der Bus zur Göscheneralp erst eine halbe Stunde nach Ankunft meines Zugs in Göschenen fährt, benutze ich den Taxiservice, den die innovativen Geissenbauern Christian und Lydia bieten. Lydia liefert nur kurz ihre Milchproben bei der Post ab, dann droppt sie mich wenig später beim Einschnitt, den die Voralpreuss ins Tal gegraben hat (Bushaltestelle Abz. Voralp). Ich verabschiede mich von der sympathischen Bäuerin und ihrer zweiwöchigen Tochter, die vom Rücksitz lauthals nach Nahrung ruft. Dann beginnt meine Runde.

Postkartenmotiv im Voralptal

Der Aufstieg zur Voralphütte ist für sich alleine schon eine zauberhaft schöne Tour. Zunächst steige ich durch den Wald zur ersten Talstufe hoch. Dort weitet sich das Tal und bietet einen wunderbaren Blick auf die vergletscherte Ostseite des Sustenhorns. Das Eis ist noch fast vollständig schneebedeckt, ein ungewohntes Bild für Ende Juli. Aber heute schmilzt es heftig! Der Bach ist prallvoll. Bei der ersten Brücke überschreite ich ihn irrtümlicherweise, weil mich das Wasser so fasziniert. Anstatt umzudrehen, folge ich einem Küherpfad, der mich weiter oben zu einer Sennhütte bringt, wo ich den tosenden Bach wieder überqueren kann. Ohne Brücklein wäre das derzeit kaum möglich. Wasser ist in der Menge eine solche Gewalt!

Das kleine Brücklein, das mir einen grossen Umweg ersparte…
Voralphütte in Sicht — und kühlende Wolken

Es folgt noch ein kurzer Aufstieg in die östliche Talflanke und schon erreiche ich die Voralphütte. Kurze Pause. Ich trinke einen halben Liter Schorle und probiere die Linzertorte, die frisch aus dem Ofen gekommen ist. Fein! Die Hüttenwartin fragt nach, ob ich ein Klettersteigset brauche. Das könne man mieten für die kommende Traverse und danach in der Salbithütte wieder abgeben. Ein toller Service, den ich jedoch nicht beanspruche.

Nun werden die Markierungen blauweiss. Die nächsten 300 Höhenmeter direkt die Talflanke hoch müssen äusserst steil erklommen werden. Aber weil sich schon die ersten Wärmewolken gebildet haben, ist es zum Glück nicht mehr so heiss.

Der blauweisse Aufstieg beginnt sehr steil – seht ihr die Hütte noch da unten?

Mit der Höhe kommt auch die Aussicht. Auf der anderen Talseite erheben sich unter anderen der Hoch-Horenfelli- und der Schinstock. Schmerzhafte Erinnerungen werden wach. Hier hätte mein Wanderleben vor acht Jahren beinahe ein abruptes Ende genommen. Mit viel Glück und noch heute sichtbaren Narben kam ich davon. Es war trotzdem eine gute Lehre, wie ich heute etwas nachdenklich resümiere. Es hat mich vorsichtiger gemacht.

Blick auf die andere Talseite zum Bruderpaar Hochhorrenfelli- und Schinstock

Mein Blick richtet sich indessen auf die unverwechselbaren Spitzen des Salbitschijen, die jetzt immer näher kommen. „Wie kommst Du da bloss darum herum?“ frage ich mich. Bald bekomme ich die Antwort: Ich sehe weit unter mir einen Pfad, der sich irgendwie durch diese Wand nach oben schraubt. Aber da muss ich zuerst hinunterkommen –  und das geschieht durch die sogenannte „Spicherribichelen“. Was für ein Name! „Nervenchribbele“ wäre wohl die passendere Bezeichnung, denn die Route führt nun fast senkrecht über eine mehr als vierzig Meter hohe Wand in eine Rinne hinunter. Mehrere Leitern und Eisenbügel helfen. Daneben ein Drahseil, um das Klettersteigset einzuhängen. Da kribbelt also einiges! Durch die Rinne selber hangle ich mich mit Hilfe von Bergsteigerseilen, die dort montiert sind. Sie werden bei jedem Gewitter von mitgerissenen Steinen malträtiert – so sehen sie auf jeden Fall aus. An nassen Tagen ist kein Durchkommen hier – ein absolutes NoGo.

Die scharfen Zähne der Salbitschijen
Blick auf den schmalen Pfad …
…. den ich nach dem exponierten Leiternabstieg über diese Wand erreiche

Es folgt der Wiederaufstieg durch die gegenüberliegende Wand auf dem schmalen aber guten Pfad, den ich vorhin von oben sah. Er ist fast durchgehend seilgesichert, das ist gut für die Nerven. Ich blicke mehrmals zurück und probiere das dramatische Ganze irgendwie auf den Fotos festzuhalten. Nicht einfach. Währenddessen stampfe ich, langsam etwas ermüdet, die letzten Meter zum Salbitbiwak hoch.

Eigentlich fast unglaublich, dass hier ein Weg durchführt

Dieser steht auf einem breiten Boden voller Brocken, über die sich die weltberühmten Salbittürme erheben. Pfeiler, Platten, bizarre Granitformationen. Ein Kletterparadies der besonderen Art. Um sie besser zu erreichen, wurde 2010 die alte Trift-Hängebrücke abmontiert und hier als Salbitbrücke wieder installiert. Recycling der besonderen Art. Trotzdem: Das Brückenprojekt fand nicht überall Verständnis. Fundamentalisten malten das Wort Massentourismus an die Wand. Doch dafür ist der Aufstieg hierhin viel zu anstrengend.

Beim Salbitbiwak öffnet dich der Blick zum Dammastock und seinem Gletscher
Der Eyecatcher der Tour – die Salbitbrücke
Blick zurück von der Brücke (beachte die Leiter an seinem Ende) zum Kletterparadies Salbitschijen

Um auf die Brücke zu gelangen, muss ich zuerst wieder über eine lange Leiter absteigen – der nächste Adrenalinkick. Und auch die Querung – 120m über dem Tobelboden – ist atemberaubend. Zeitweise wankt sie. Doch dann ist das Anspruchsvolle getan und bald stehe ich auf der Kante der nächsten, weit freundlichere Geländekammer. Hier öffnet sich ein ansprechender Blick über die Salbiten zur Salbithütte und dem oberen Reuss- und Urserental. Wow!

Die Salbiten – eine prächtige Sonnenterasse hoch über dem Reusstal. Wer sieht die Hütte?

Es folgt der Abstieg durch Blumenfelder zur prächtig gelegenen Hütte, ein herrschaftliches Heim für all die jungen Kletterer, die hier nach getaner Arbeit ihre Seile sortieren. Ich bestelle indes ein grosses Panache und probiere ein Stück Aprikosenkuchen vom grossen Blech. Auch fein! Eine Hütte zum Verweilen.

Salbithütte

Doch noch ist das Tageswerk nicht vollbracht. Die Bushaltestelle ist zwar nur 1300m Luftlinie entfernt – aber 900 Höhenmeter weiter unten. Während der Pfad zunächst noch recht sanft durch tiefgrünes, beblumtes Buschland mäandert, wird es im Wald ab Regliberg richtig, richtig steil. Aber weil die Hüttenwegbauer wohl Gnade vor Recht gelten liessen, haben sie fast den ganzen Weg mit guten Tritten ausgestattet. Grossartig! So komme ich rasch in den Talboden, tauche meinen Kopf und meine Arme in die herrlich kalte Reuss und steige wenig später erfrischt und mehr als zufrieden nach dieser aufregenden Tour in den Bus nach Göschenen.

Ein letzter Blick zurück zum Salbitschijen, bevor der lange Treppenanstieg durch den Wald beginnt

Tourdatum: 29. Juli 2024

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Salbit-Runde (pdf)

Schau dir das auch auf Relive an

N.B. Die Websiten der beiden Hütten geben jeweils Auskunft über die Begehbarkeit dieser Verbindung

2 Kommentare

  1. Grandios! Eine wunderbare Tour… gratuliere, Edwin – auch zum, einmal mehr, total spannend, kurzweilig & packend beschriebenem Bericht! Weiter so! Mit Berggruss zurück, Priska

  2. Dank für die sehr schönen Bilder. Erinnerung wurden wach. ich habe die Tour vor einem Jahr gemacht. Wie du schreibst, eine tolle Tour mit gewissen Herausforderungen in einer wunderschönen Landschaft. Danke für deine Wanderberichte.

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