Das heutige Wanderziel ist der Piz Tomül – kombiniert mit dem Übergang vom Safiental nach Vals. Aber eigentlich ist der Tag eine Hommage an frühere Zeiten, gespickt voller Erinnerungen. Eine Vintage-Tour durch die Jahrzehnte mit einem kühlenden Ende in den Valser Thermen.
Ich emigrierte als zehnjähriger Junge mit meiner Familie in die Schweiz. Wir wurden äusserst herzlich aufgenommen. Die erfolgreichen Fussballer an der WM 1974 gaben zusätzlichen Rückenwind. Zudem kannte ich die Schweiz schon seit meinem sechsten Lebensjahr, weil wir jeden Sommer vier Wochen im Berner Oberland verbrachten. Auf dem Zollikerberg bei Zürich waren es dann Marius und Heinz, die mir besonders nahe standen. Mit ihnen beiden verbindet mich auch das Safiental, ein entlegenes Seitental der Surselva, das die meisten meiner Blogleser wohl (noch) nicht kennen.
Die Eltern von Heinz waren Bauern, deren Rindli hier oben sömmerten. Ich durfte einmal mit zu den gastgebenden Bergbauern und lernte die Schweiz von einer neuen Seite kennen. Das Plumpsklo mit Zeitungspapier, die frische Milch direkt von der Kuh, der Käselaib auf dem Tisch, die geräucherte Wurst aus dem schwarzen Kamin, das schweisstreibende Heuen. Das war wirklich neu für das zarte Pfarrersöhnchen. Ich habe es nie vergessen. 1975 war das, wie ich einem alten Fotoalbum entnehme. Emotional wie ich bin, will ich genau nochmals dorthin. Dort, wo die Rindli zwischen Alpenrosen und Felsbrocken weideten.
Marius traf ich viele viele Jahre nach der Primarschule beruflich wieder. Auch er erzählte von seiner Liebe zum Safiental. Er habe mit seiner Frau gerade ein altes Walserhaus erworben und ihm liebevoll zu neuem Glanz verholfen. Ein kleines B&B für Geniesser sei daraus entstanden, Bergromantik pur. Da wollte ich also auch schon lange hin.
So beginnt mein heutiger Wandertag am Frühstückstisch des Nühus (Klicke auf den Link zum Video!). Hausherrin Katja bringt mir ein feines Birchermüesli und ein liebevoll angerichtetes Wurst- und Käseplättli. Das Brot ist selbst gebacken und riecht herrlich. Kaiserzmorge! Und das nach einer Nacht im Vintagezimmer mit antiken Bauernmöbeln – aber mit modernem Boxspringbett und Sicht auf den Piz Beverin. Schöner gehts nicht.
Um 8.15 steht Luzia vor der Türe bereit. Sie wird mich zu der Alp fahren, von der ich meine, ich sei vor 49 Jahren dort gewesen. Auf dem Weg erzählt mir die Bäuerin viel über das Leben im Safiental. Es ist schön – aber nicht einfach. Immer weniger Kinder, lange Schulwege, wenig berufliche Vielfalt. Zum Glück kommen immer mehr Tourenfahrer im Winter (unendlich lange Hänge und wenig Lawinengefahr) und Geniesser im Sommer. Sie bringen Leben und Cash ins Tal.
Auf der Alp Trisch oberhalb von Thalheim verabschiede ich mich von Luzia und laufe los. Weglos peile ich die Rinderpirglücke an. Von diesem Grateinschnitt zwischen Valser- und Safiental will ich später auf den Piz Tomül steigen. Es ist nicht besonders schwierig, doch habe ich das Unterfangen etwas unterschätzt. Das weglose Waten durch Alpenrosen, über spitzige Steine, durch Senken und um Felsbrocken ist anstrengend. Genauso war es damals, als Heinz und ich die Rindli in diesem anspruchsvollen Gelände suchten! Und tatsächlich finde ich die Biester auch heute an einem Tümpel. Die Kindeskinder der Zollinger-Rindli x-ter Generation?… Sie grasen friedlich und lassen sich von mir überhaupt nicht stören.
Ich bin ziemlich ins Schnaufen gekommen, als ich den Pass erreiche. Immerhin gibt es im oberen Teil dieses langen Hangs kein Gestrüpp und keine Felsbrocken mehr. Dafür grüsst jetzt ein übergrosser Felsturm auf dem Grat, den ich nicht zu überklettern wage. Also lieber wieder etwas absteigen, dann wieder steil hoch. Uff. Von jetzt an ist die Gratwanderung etwas vom Feinsten! Im leichten Auf und Ab nähere ich mich dem Fuss des Piz Tomül. Auch seine Besteigung ist einfach, zuoberst sperrt zwar einen abweisender Felsriegel, der lässt sich aber spielend überwinden. Nur ein, zwei Handgriffe sind nötig, dann steh ich auf dem Gipfelplateau.
Der Piz Tomül steht völlig frei und entsprechend toll ist die Rundsicht. Aber auch der Gipfel selber ist eine Augenweide, zum Verlieben. Die Pionierpflänzchen, die den grauen Schutt schmücken, der mächtige Steinmann. Das erhebende Gefühl scheint auch andere gepackt zu haben, wie die auf den Fels gemalten Herzen unterstreichen. Auch das weckt schöne Erinnerungen.
Der Abstieg erfolgt über einen guten Pfad, der zum Tomülpass hinunterführt. Er ist nicht markiert, und ich verstehe nicht, warum. Wer will denn die Wanderer von einem Besuch dieses Prachtbergs abhalten? Kurz unterhalb der Passhöhe auf der Safiental-Seite treffe ich auf den Passweg. Er ist breit und gut ausgebaut: „biker-tauglich“, wie ich gleich sehe. Die (Elektro-)Stahlrösser mit ihren Reitern sind denn auch gute Besucher dieses Übergangs.
Der gutmütige Wanderweg führt über Kuhweiden zur Alp Tomül hinunter und später in eine bemerkenswert schöne Hochebene, den Riedbode. Es kommt die Zeit, sich im sprudelnden Bachwasser zu kühlen, denn es ist inzwischen richtig heiss geworden. Die Kühlung tut gut, denn nun gilt es, über die äusserst steile Rampe durch den Bannwald nach Vals abzusteigen. Die kürzeste und steilste Variante geht ziemlich zur Sache. Aber: Wer hier oben bis 16.00 Uhr warten will, kann sich diesen Kniebrecher (700Hm) sparen, es fährt ein Wanderbus auf Abruf.
Ich erreiche mit leicht zittrigen Knien eine Stunde später das schöne Vals zu Fuss und freue mich einmal mehr über die einheitlich mit Steinplatten gedeckten Dächer. Meine Tour endet ausserhalb des Dorfes bei den Thermen. Dort gebe ich mich wenig später in Peter Zumthors Badetempel dem Entspannungsritual im warmen Wasser der St. Petersquelle hin.
Tourdatum: 26. Juli 2024
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Kartenausschnitt Piz Tomül (pdf)
Bemerkungen: Die Route über den Piz Tomül zum Pass ist T4, sonst T2/3. Wer die Passtour „normal“ beim Turrahus (Bushaltestelle) beginnt, wandert nur T2/3. Auch die nicht-markierte Besteigung des Piz Tomül ist nur eine T3. Zirka 100m vor dem Pass nach rechts abzweigen, es gibt eine Pfadspur. Ab dem Strommasten auf der Wasserscheide ist der Pfad durchgehend bis zum Gipfel.
Salut Edwin
ein sehr schöner Eintrag von Dir. Auf dem Piz Tomül war ich 1998 mit meinem Sohn Jonas.
Deine Einträge sind bezüglich der Vergangenheit ähnlich, siehe zB mein Eintrag vom 28.07.2024 zur Besteigung des Unghürstöckli 2773m mit einem Bild mit Sohn Jonas aus dem Oktober 1998: https://kley.ch/hansjoerg/2024/2024_3/2024_3_4.html .
Danke Edwin.
wunderbar, gluschtig, und erst die fotos von früher! erinnerungen werden wach an meine vielen wanderungen im berner oberland, etwa im selben alter, wie die beiden buben. von achseten bei adelboden aus, aufs elsighorn, aufs albristhoern etc.
doch, ich kenn’s, wir haben 2015 im Nühus in Bruschgaleschg übernachtet und schwärmen noch heute davon.
Dies war unsere damalige Tour: https://www.wandersite.ch/Walserwege_Flims_Safiental_San_Bernardino.html#3
Hallo Edwin
Wieder ein schöner Wanderbeschrieb, den ein Knieoperierter wie ich gerne lese und die schönen Bilder betrachte
👍 weiter so
Lieber Edwin
Schön, dass Du es wieder ins Safiental geschafft hast – und ins Nühus. Leider diesmal ohne mich.
Herzlich
Marius