Die hier beschriebene Etappe der West-Ost-Transversale vom Oberalppass zur Cavadiras-Hütte war eigentlich nur als Verbindungsstück zwischen zwei „spannenderen“ Etappen gedacht. Ich habe sie deshalb in zwei Halbtages-Etappen aufgeteilt. Während der erste Teil den bescheidenen Erwartungen entsprach, überraschte die zweite Hälfte mit dem spektakulären Brunnipass. Dort präsentiert sich ein exponierter Logenplatz mit packender Sicht auf den Brunnigletscher und den Oberalpstock.
Auf dem Oberalppass ist gerade High-Life, als ich zur kurzen (2 1/2 Stunden) Halbetappe nach Sedrun aufbreche. Ein Zürcher Mundart-Sänger beschallt sein jubelndes Publikum vom Rhein-Leuchttürmchen mit seinem neuesten Song. Wohl irgendein Video-Gag. Ich schunkle kurz etwas mit und schmunzle.
Kaum weggetreten vom Trubel tritt rasch Ruhe ein. Ich bewältige die kurze Steigung zum Tiarmspass, steige ins Val Val ab und bald wieder hoch auf den Cuolm Val, das Hauptskigebiet von Rueras-Sedrun. Gerne denke ich an die Zeiten des wilden Teenager-Klassenlagers mit meiner Schwester zurück, und Jahre später an die ersten Skiversuche von Noëlle – wie lange ist das her!
Der Weitblick auf das grossräumige Tujetsch ist schön, das ist aber auch das einzige wirkliche Highlight dieses „easy walking-Halbtags“ hinunter ins verschlafene Sedrun. Aber ganz okay nach den intensiven, anstrengenden Etappen der vergangenen Tagen im Gotthardmassiv.
Fast ein Jahr später – der frühe Schnee 2022 verunmöglichte anderes – setze ich die Tour in Sedrun zusammen mit Reto fort. An diesem heissen Sonntag lassen wir uns zunächst von der neuen Seilbahn auf die aussichtsreiche Cuolm da Vi heben. Von dort traversieren wir das Skigebiet, zunächst etwas wenig inspirierend auf einem breiten Kiesweg, im Auf und Ab. Durch das von Menschenhand gezeichnete Gelände erreichen wir die Bergstation einer Sesselbahn, die von Disentis hochkommt. Ich entschuldige mich bei Reto, dass wir diese nicht gleich genommen haben, aber eben – das Verbindungsstück gehört nun Mal zu einer Transversale. Immerhin bietet sich hier ein sehr schöner Blick auf den Piz Medel und seine vielen Gletscherarmen. Wir versuchen zu erahnen, wie lange die Landeskarte schon nicht mehr angepasst wurde, denn diese zeigt sich rund um den Piz Medel noch einiges „blauer“ als die heutige Realität.
Dann biegen wir auf einen schmalen Pfad ein, der uns zum Hüttenweg bringt. Und auf einmal wird die Tour sehr schön. Heidelbeersträuche säumen den Pfad und der Weitblick hinunter in die Surselva ist eindrücklich. Auf einem Vorsprung weit entfernt sehen wir Brigels, wo wir morgen spätnachmittags einzutreffen gedenken. So drehen wir ins Val d’Acletta ein und kommen dort einem angenehmen Höhenweglaufen. Dabei schätzen wir das kühle Lüftchen, das uns den ganzen Nachmittag die Hitze weghält.
Der Blick richtet sich nun auf die Passage zwischen den Gipfeln hoch über uns, wo wir in einem Felsriegel den Brunnipass erahnen. Von hier unten ist nicht erkennbar, wo ein Durchkommen möglich sein soll.
Bei einem kleinen Seelein zweigt der Hüttenpfad vom Höhenweg ab, und die Beschilderung wechselt auf blau-weiss. Von diesem erhöhten Schwierigkeitsgrad ist vorerst nichts zu erkennen. Im Gegenteil, die folgende 700Hm-Steigung beginnt gutmütig und der Weg ist kraftschonend angelegt. Viele kleine Bäche durchziehen das Gelände, das Plätschern hört sich friedlich an. Der Motor brummt tieftourig.
Das ändert sich erst bei einem grossen Blockfeld, das schon fast artistisch überstiegen werden will. Ab jetzt ist 100%ige Trittsicherheit gefragt. Und etwas weiter zeigt sich der Einstieg in den sehr steilen Verschnitt, der uns durch den Felsriegel auf den Pass bringt. Es gibt zwar noch einen Pfad, aber die Ketten an seiner Seite sind hilfreich – vor allem für jene, die hier hinuntergehen. Kraft und Luft braucht dieses letzte Stückchen. Dafür folgt die grosse Belohnung: Auf einmal wechselt das bisher grün-steinige in schwarz-eisiges Gelände. Und wie!
Vor uns präsentiert sich der mächtige Oberalpstock, dessen grosszügige Gletscherschürze sich unter uns ausbreitet. Um das enge Tal drängen sich wilde, spitzige Gipfel und enorme Brocken. Auch der Gletscher ist voll davon. Was für ein Kontrast zum grünen, weiträumigen Tujetsch! Wir geniessen unsere Pause auf diesem einzigartigen Pass – er ist eigentlich eher ein schmaler Grat – und sind begeistert.
Der Abstieg durch die Brockenwand zum Gletscher erscheint unmöglich – aber eine Leiter, viele Ketten und schliesslich ein Seil weisen uns den Weg und helfen uns sicher zum Eis hinunter. Schnell die Spikes an die Füsse montieren und schon traversieren wir den Gletscher. Orange Pilonen weisen uns den Weg zum Pfad in der Moräne – und wenige Minuten später erreichen wir die Cavardirashütte.
Und hier ist uns das das Glück gleich nochmals hold: Nur 13 Gäste haben sind an diesem Sonntagabend in der Hütte angemeldet (gestern Samstag waren es 55!). So herrscht kein Gedränge und kein Stress. Das freundliche Hüttenteam verwöhnt uns mit einem bemerkenswerten zNacht (italienisch: Fleisch mit Kapern, Tomaten und Oliven – sehr fein) und schlafen können wir nach einer guten Flasche Rotwein auch gut!
Tourdatum 1. Halbetappe: 25. August 2022, T2
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Tourdatum 2. Halbetappe: 20. August 2023, T4
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Kartenausschnitt Oberalp-Cavardiras
N.B. Die Cavardirashütte wird ab 2024 umgebaut. Es geht um Modernisieren, Energiesparen und eine bessere Wasserver-/entsorgung. Alles gut – für die Umwelt und die Gäste. Sie suchen noch Geld gemäss einer Broschüre, die in der Hütte aufliegt. Aber warum liest man auf der Website der Hütte nichts davon? Hier wäre der Link dazu auf der Seite der SAC Winterthur
wieder eine superschöne Beschreibung! Danke, Edwin