Das geschützte Geltental ist eines der schönsten seiner Art im Berner Oberland. Die Wanderungen beginnen am Lauenensee, führen durch alle Vegetations- und Klimastufen mit reicher Flora und Fauna und enden auf dem Wildhorn, dem Arpelistock oder wie heute auf dem Geltenhorn. Mit guter Kondition und passender Ausrüstung eine fantastische Tagestour, neuerdings gelingt das sogar ohne Steigeisen.
Kurz vor sieben Uhr ist der Parkplatz beim See noch leer. Es ist frisch, ich fröstle die ersten paar Minuten. Der Bach rauscht, Gischt spritzt über den Uferrand auf den feuchten Pfad. Der erste Teil der Route ist nicht schwierig, „Frühstück in der Geltenhütte“ deshalb ein Evergreen für unsere ganze Familie.
Der Aufstieg Teil bis zur Hochebene des Unteren Feissebergs führt durch offenen Wald und immer wieder an eindrücklichen Wasserfällen und engen Schluchten vorbei. Die Blumen am Wegrand sind nass vom Tau, auf dem steinigen Pfad spielen zwei Lurche „Biene und Blüte“, sie lassen sich nicht von mir stören. Intensive Freudengefühle packen mich: Was für ein Privileg, hier frühmorgens durch die Natur streifen zu dürfen!
Auf dem Unteren Feisseberg begrüssen mich ein paar Rindli. Das wilde Hochtal wird dominiert vom prächtigen Geltenschuss, ein echtes Naturmonument. Unvollstellbar, dass der Wasserfall vor 70 Jahren fast einem Staudammprojekt zum Opfer gefallen wäre. Der Bach sollte durch einen Stollen zum Sanetschstausee umgeleitet werden. Für die Touristen hätte man den Geltenschuss im Sommer noch „ein paar Stunden pro Tag laufen lassen“. Zum Glück setzten sich die Lauener Bauern gegen die Berner Strombarone durch und schufen ein traumhaftes Naturschutzgebiet für die Ewigkeit.
Jetzt folgt ein steiler Zickzackweg nach oben, die Geltenschuss-Stufe muss überwunden werden. Der schweisstreibende Anstieg findet sein Ende an einer Felswand, über die ein Wasserfall herabplätschert. Die paar kalten Tropfen auf der Nase kühlen angenehm.
Weiter oben hat sich der Geltenbach über weite Strecken tief in den weichen Kalk eingefressen, ein reizvoller Anblick, der fast nur noch durch das Blumenreichtum getoppt wird. Wenig später erreicht der Wanderer die sehr gastfreundlich geführte Geltenhütte. Sie war schon lange eine der ersten SAC-Hütten, die dank Solarstrom warmes Duschen ermöglichte.
Die Markierung wechselt hier von Rot-Weiss auf Blau-Weiss. Schon kurz nach der Hütte weist eine kurze Kletterei Ungeübte in die Schranken. Am Fuss des Wildhorns erreiche ich die „Kathedrale“, ein Flussdelta unterhalb einer breiten, hohen Felsenkulisse. Bis zu 14 Wasserfälle stürzen hier hinunter. Am morgen ist es noch ruhig hier, aber sobald es wärmer wird nimmt das Rauschen des geschmolzenen Gletscherwassers kräftig zu.
Durch das Rottal führt der schmale Pfad jetzt östlich steil hinauf in Richtung des Arpelistocks. Über letzte Grasflächen, die von ein paar Schafen und einer Herde Yaks kahlgefressen werden, erreiche ich die Abzweigung zum Col du Brochet (aufgepasst, nur durch ein Steinmännchen gekennzeichnet). Jetzt weisen nur noch ein nicht immer gut sichtbarer Pfad und Steinmännchen den Weg. Die Route führt spannend über Felsbänder, Schutthalden und Steinblöcke zur Zunge des Geltengletschers. Ich hole einen älteren Einheimischen ein, der auf dem Weg zum Wildhorn ist. Wir plaudern ein Weilchen, er erzählt von früher und gibt mir eine paar wertvolle Hinweise mit.
Auf einem grossen Stein am Gletscherrand ruhe ich aus und kaue einen Früchteriegel. Ich staune einmal mehr, in welch kurzer Zeit man im Berner Oberland von der lieblichen Bergland(wirt)schaft des Tals in diese alpine Wildnis gelangen kann. Dann zurre ich meine Steigeisen fest und nehme die letzte Etappe in Griff. Der Schnee auf dem nur stellenweise aperen Gletscher ist noch hart, ich komme schnell voran und ziele den Grat knapp unterhalb des Gipfels an. Der ist eine halbe Stunde später erreicht.
Auf einmal öffnet sich der Horizont, und die Walliser Viertausenderkorona lacht mich an. Auf den letzten Metern zum verwächteten Gipfel meine ich zu schweben, der Rundblick ist umwerfend. Es bläst allerdings ein zügiger Talwind von Süden, ich kann nicht lange stehen bleiben. Auf der Nordseite unterhalb des Gipfels finde ich ein geschütztes Plätzchen für die verdiente Gipfelrast. Sonne pur und Wärme, Stille, ein Rivella und ein Landjäger – was will man mehr? Tief unter mir die wunderbare Route zur Cabane des Audannes, die ich vor zwei Jahren mit Reto begangen habe.
(Jetzt folgt der Teil vom 31. Juli 2023). Für den Abstieg wähle ich die gletscherfrei Route westlich des Gletschers. Sie ist erst seit ein paar Jahren möglich, weil sich das Eis stark zurückgezogen hat. Es ist nur am Anfang etwas anspruchsvoll, da die ersten 300 Meter des Abstiegs vom Vorgipfel durch grobes Geröll ziemlich steil sind. Stöcke und gutes Balance tun Not, aber gefährlich ist es nicht. Dann folgt der Genussteil über die glattgeschliffenen Felsen zur Gletscherzunge. Dem Bach weiche ich über das unterste Eis aus, aber ist gibt auch andere Möglichkeiten.
Ich folge dem Gefühl nach der Kante, zurück in Richtung der steinmannmarkierten Aufstiegsroute. Bei schlechter Sicht wäre das ziemlich schwierig. Auch so muss ich etwas suchen, bis ich in der Steinwüste fündig werde und auf den Abstiegspfad einzweigen kann. Dann geht es nur noch runter — viele Hundert Höhemeter durch die Steinwüste, über die angeschwollenen Bäche und entlang der grasenden Yaks bis zur Geltenhütte, wo ich traditionell mein Grapanache (Grapefruit anstatt Citro) bestelle.
Der Schlussabstieg zum Lauenensee ist dann nur noch Entspannung.
Tourdatum: 8. August 2014 (Aufstieg), 31. Juli 2023 (Abstieg)
Kartenausschnitt Geltenhorn (pdf)
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
öV: Postauto bis Lauenensee (für diese Tour ist der erste Kurs allerdings zu spät)
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