Der Simmentaler Huusweg

Das Simmental hat nicht nur Freunde. Die Autofahrer erleben die kurvige Fahrt nicht als Panorama-Plausch, den Kindern auf dem Rücksitz wird es häufig schlecht. Die Kantonstrasse führt eben über weite Strecken entlang der tief eingegrabenen Simme. Davon profitieren die höherliegenden Bauerndörfer – sie präsentieren sich ebenso still wie sonnenverwöhnt. Entsprechend gebräunt sind die Holzhäuser an den Südhängen. Diese schrieen gerade zur Schaffung des „Simmentaler Huuswegs“. Ich habe ihn mit Freude begangen und viel Überraschendes entdeckt.

Die Tour beginnt am Bahnhof Erlenbach, der soeben für viele BLS-Millionen edel mit Unterführung und rollstuhlgängigen Perrons ausgestattet worden ist. Der „Huusweg“ Wegweiser führt mich hoch ins Dorf, wo ich die stark befahrene Kantonstrasse überquere. Hier stehen jahrhundertealte Bijou-Chalets – leider am falschen Ort, um davon zu träumen. Doch nur schon wenig oberhalb der Strasse wird es lebenswert, der Stolz der Gemeinde präsentiert sich zum Beispiel mit der kunstvoll überdachten Passarelle zur Kirche. Ein Sennenhund knurrt, eine Kuh muht, dann erreiche ich die saftigen Wiesen oberhalb des Dorfes.

Die Kirchgänger in Erlenbach sollen trocken bleiben
Der Niesen – und in der Ferne die Berner Oberländer 4000er

Der schmale Pfad führt langsam steigend talaufwärts hoch, bald unterlaufe ich die Kabel der Stockhornbahn. Mein Blick richtet sich auf die Niesenkette. Ich denke sofort an die Monstertour von Bergfreund Gabriel, der diese vor kurzem in nur einem Tag überquert hat. Jetzt sind die Gipfel allerdings noch sehr weiss und wirken wenig einladend für Wanderer. Ich erfreue mich deshalb lieber des Frühlings, der um mich herum in allen Facetten spürbar ist. Die gelben Blumen, die spriessenden Knospen an den Bäumen, die herumtollenden Kälber. Bald bin ich hoch genug über dem Talboden und der Weg folgt nun im Auf und Ab etwa der 1000er-Höhenkurve. Ich passiere eine Siedlung nach der anderen. Die Häuser sind reizvoll, die Verzierungen (oft) auch. Doch nicht so reichlich und kunstvoll wie ich das in Bhutan vor wenigen Wochen gesehen habe! Das Bauernleben mag heute leichter geworden sein, aber früher war das ein Kampf mit der Natur um die Existenz, da blieb nicht viel Zeit für Luxusarbeiten am Haus.

Stolze Baukunst
Baukunst mit Verzierungen und Schnitzereien. Nur die TV-Schüssel passen nicht so richtig dazu 

Im beneidenswert schön gelegenen Weissenburgberg schaue ich kurz bei Freunden vorbei, die voller Energie an ihrem Naturgarten arbeiten. Dann dreht der Weg nach Norden ab – vor mir liegt die tief eingeschnittene Schlucht des Buuschebachs, in der ich nun eintauche. Ein totaler Szeneriewechsel.

Die Strasse verläuft unsichtbar im Schlitz … darum ist das Simmental so schön hier!

Der Weg führt zunächst ganz nach unten zum ehemaligen Weissenburgbad, das ab dem 17. Jahrhundert unzähligen Berner Patrizierfamilien als Kurort gedient hat. Als ich die Grundmauern der vor etwa 40 Jahren vollständig abgeräumten Kurhaus-Ruine betrachte, kann ich mir kaum vorstellen, dass sich hier dereinst bis zu 300 Gäste gleichzeitig dem Bade frönten! Ich versuche die Energie des Kraftorts zu spüren – leider erfolglos.

Wilde Wasser in der Schlucht
Sehr steil geht es hier zum Schluchtrand hoch

Trotzdem beeindruckt folge ich der immer enger werdenden Schlucht weiter nach hinten. Dort, wo sie sich zweiteilt, führt ein steiler, kettengesicherter Treppenweg rund 170 Meter hoch. Mit deutlich höherem Puls am Schluchtrand angekommen erwartet mich eine tolle Hängebrücke. Die Überquerung braucht etwas Mut. 170m Tiefe sind wirklich viel, vor allem wenn da weit unten wilde Wasser tosen.

Man sieht hier noch nicht, wie tief es runter geht…
Ohne Worte … aber bei soviel Kreativität muss man einfach seinen Obulus leisten!

Das war’s aber mit dem anspruchsvollen Teil der Wanderung. Meine Route folgt nun dem Fahrsträsschen aus dem Morgetetal hinaus und zweigt dann wieder über Wiesenpfade nach Oberwil ab. Es tropft kurz etwas, aber der 120gr-Knirps im Rucksack ist für solche Intermezzos ein sicherer Wert. Oberwil ist dann schon fast etwas kitschig — ein stolzer Bewohner hat die schönsten Simmentaler Häuser sogar „miniatur“ in seinem Garten nachgebaut.

Unten Frühling – oben noch Winter
In Oberwil liebt jemand die Simmentaler Häuser wirklich sehr…

Ich schmunzle und suche dann das Dorflädeli, um mir eine Schoggi und ein Getränk zu kaufen. Dann laufe ich weiter nach Boltigen – man könnte hier aber auch den Zug nehmen. Der folgende Teil ist eine Mischung zwischen Asphalt und Fahrweg. Die Geisslein und die Kälber am Wegrand sind nett, aber diese letzte Stunde nach Boltigen ist der weniger lohnenswerte Teil der Wanderung. Trotzdem – der „deep dive“ ins Simmental hat gut getan und ruft zur Nachahmung auf.

Tourdatum: 21. April 2023

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Kartenausschnitt Huusweg (pdf)

öV: Zug bis Erlenbach und ab Oberwil oder Boltigen. Die Route ist eigentlich nur ein „Wandern“ im T1-2-Bereich – nur der Schluchtausgang erfordert echte Bergtauglichkeit (T3). Diesen kann man aber auslassen bzw. umgehen (er ist nicht Teil des offiziellen Simmentaler Huuswegs)

 

Liebe zum Detail kennt keine Grenzen
Der Bock beschützt seinen Harem

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