Stockhorn und Gantrisch sind die zwei dominierenden Voralpen-Gipfel im unteren Simmental. Bezeichnenderweise sind sie auch fast gleich hoch. Dazwischen reihen sich diverse Gipfelchen ein, die eine abwechslungsreiche Traverse zwischen den beiden Trabanten erlauben. Der Aufstieg zum Stockhorn geht bequem per Bahn, der Abstieg vom Gantrisch nach Weissenburg ist hingegen etwas lang und ruft nach Alternativen. Wir fanden eine und haben eine Idee für eine zweite.
Endlich wieder wandern mit Rico! Ich freue mich, meinen Wanderfreund für Hochtouren auch einmal für eine einfachere Wanderung in den Voralpen zu begeistern. Wir treffen uns am Bahnhof Erlenbach im Simmental und nutzen die 10 Minuten Fussmarsch zur Stockhornbahn für ein erstes Update. Es ist schon halb Zehn und es soll heute sehr heiss werden, entsprechend lösen wir ein Ticket für „ganz nach oben“ – die Tour liesse sich mit 300 Höhenmeter Mehraufwand auch von der Mittelstation aus bewältigen.
Die dadurch gewonnene Zeit nutzen wir erstmal zu einem Besuch der luftigen Plattform auf der Gürbetalseite des Gipfelfelsens. Es schaudert mich, wenn mich ausserhalb des Stollens nur ein Rost und ein Geländer vom freien Fall trennt – Höhenangst ist ein Phänomen, dass mich erstaunlicherweise nur auf von Menschenhand erstellten Kunstbauten ergreift. Die Sicht auf das Mittelland ist hingegen genial. Aber 1 Minute reicht :-).
Wir steigen nun zunächst fast 400m zur Bachegg ab. Dabei umgehen wir zunächst den Gipfelfelsen und erreichen so den Grat, den wir bis zum noch weit entfernten Gantrisch folgen wollen. Ab der Scharte ist es nicht markiert, der offizielle Wanderweg führt entlang der Talflanke. Aber das wollen wir nicht, uns zieht es nach abwechslungsreichem Surfen über den Grat mit Sicht auf beide Seiten. Nördlich in die Weiten des Mittellandes, südlich zur geliebten Berner Alpenkette. Ein Pfad ist durchgehend sichtbar, ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum die Route über den Walalpgrat nicht offiziell markiert ist. Gefahren gibt es keine.
Aber schwitzen tun wir- jedoch nicht lang. Bald flacht der Rücken ab und schon steigen wir über Grasweiden wieder hinab zu Punkt 1809, wo wir auf einen markierten Pfad treffen. Dieser bringt uns – jetzt wieder steigend – zuerst zu „Chatz und Mus“ (ein Anspielung auf die Höhlen?) und später über den Möntschelespitz zum Homad. Dieser schöne Aussichtspunkt (2075m) mit einer besonderem Gipfelverzierung lädt zu einer Pause ein. Fasziniert geniessen wir die majestätische 360 Grad-Sicht. Der Kontrast Jura-Mittelland-Voralpen-Alpen ist grossartig.
Beim Homadsattel verlassen wir den Grat. Wanderfreund Gabriel würde hier geradeaus weiter gehen, aber das wird dann bald ein anspruchsvolles T5-Gelände und braucht Mut und Zeit. Wir steigen zum Flankenweg ab, kürzen aber über gut sichtbare Spuren etwas ab und sparen dadurch ein paar Höhenmeter. Wenig später baut sich der Gantrisch vor uns auf. Was für ein eleganter Stock!
Höhenwegsurfend nähern wir uns dem Leiterepass, wo wir durch ein herzhaftes Jodeln zweier Berner „Meitschi“ überrascht werden. Filmen lassen sich die kecken Girl leider nicht, ich hätte das Video hier gerne verewigt! Gut gelaunt machen wir uns an den steilen Aufstieg zum Gantrisch und steigen über die nicht markierte (aber wenig heikle) Gratroute zügig hoch. Rico zieht davon, das Leichtgewicht testet seine Maschine. Da bin ich chancenlos… ich bestaune dafür den Militärstollen, die in den Berg geschlagen wurden. Tempi passati!
Kurz vor dem Gipfel helfen Ketten über ein felsiges, etwas ausgesetztes Teilstück hinweg, dann stehen wir auf einem gutmütigen, grosszügigen Grasplateau und schütteln uns die Hand. Die Bernerinnen singen inzwischen nicht mehr, ihnen ist jetzt offenbar die Luft etwas ausgegangen…
Es ist ein Panoramafest, nur die Alpengipfel zieren sich jetzt immer mehr an diesem heissen Augusttag. Umso mehr Aufmerksamkeit bekommen dafür die unzähligen Simmentaler und Fribourger Gipfelchen, die uns von ihnen trennen.
Nach dem Sandwich steigen wir ab und gelangen über den Schibespitz – mit gut erhaltenem Bunker – zum Morgetepass. Ein Schild beschreibt diesen Übergang als jahrhundertealten Saumpfad, was mich etwas überrascht. Warum gingen die denn nicht „untenrum“ über Wimmis ins Simmental? Konnte man so Zölle sparen? In der Alpwirtschaft Morgete können sie mir das auch nicht erklären. Aber dafür überrascht uns das superfreundliche Alpteam mit ihrer Location, zu der ein Hot Tub im Chäs-Chessi und liebevolle Zimmer in drei Gastgebäuden gehören. Jedes ein Unikat. Ein toller Ort für Feste im kleineren Kreis! Auch das Plättli mit heimischem Käse und Wurst ist fein.
Jetzt müsste die Tour eigentlich enden. Ein paar Stunden chillen, essen und schlafen, morgen weiterlaufen zum Jaunpass oder zum Schwarzsee. Das würde sich lohnen! Aber wir müssen heute runter, und dazu bietet sich leider nur das Fahrsträsschen nach Weissenburg an. Da läuft es sich zwar zügig, und am Anfang ist es auch noch landschaftlich reizvoll, aber mit der Zeit wird es doch etwas eintönig … Kurzum halten wir einen heranfahrenden SUV an und fragen, ob wir mitfahren können. Das macht die vor Energie sprudelnde Bauerntochter gerne und erzählt uns spontan alles, was wir von dieser Gegend noch wissen sollten: Eine höchst sympathische “Zürischnurre uf Berntüütsch“. 20 Minuten später und „allwissend“ verabschiedet sich die Powerfrau von uns am Bahnhof, von wo aus der Zug uns an den Ausgangspunkt nach Erlenbach bringt.
Zum Schluss deshalb ein kleiner Tipp für die Alp Morgete: Vermietet doch ein paar Trottis für die Abfahrt ins Tal – wir hätten jeden Preis dafür bezahlt!
Tourdatum: 11. August 2022
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben