Heute durchquere ich eines Teil des Rätikons. Von West nach Ost, abwechselnd auf der Süd- und der Nordseite, überwandere ich das auffällige Gebirgsmassiv im Dreiländereck Schweiz, Liechtenstein und Österreich. Eine lange, anspruchsvolle Tour, die sehr viel Abwechslung bietet.
Die erste Gondel der Älplibahn um acht Uhr morgens hievt mich von Malans auf 1700 Meter. Das ist auch nötig, sonst ist das für heute geplante Auf und Ab kaum zu schaffen. Bis zum (im September leider ausgetrockneten) Fläscherseeli ist es „déjà-vu“, ich folge nämlich ein gute Stunde im Gegenuhrzeigersinn der Route einer früheren Tour zum Falknis. Es ist sehr still, und ich spüre den Herbst, auch wenn sich die Sonne alle Mühe nimmt, das zu übertünchen. Das Gras ist nicht mehr sattgrün, die Bäche führen kaum mehr Wasser, die Murmeltiere sind pummelig.
Vom Fläscherseeli steige ich zunächst durch wildes Bergsturzgelände wieder etwas ab. Bald erreiche ich ein Fahrsträsschen, das mich mittels kunstvoll herausgehauener Tunnel (wohl einst für das Militär im Grenzgebiet erstellt?) in den Talkessel der einsamen Alp Iljes führt. Hier begrüssen mich gefühlte 1000 Schafe mit ihrem Geblöke. Dem Hirten ist hingegen kein Wort zu entlocken. Janu, dann halt nicht.
Bald zweigt ein steiler Pfad vom Wanderweg zur Schesaplanahütte nach oben ab, der mich rasch an Höhe gewinnen und bald auf dem Barthümeljoch die österreichische Grenze erreichen lässt. Ein paar Meter unter dem plateauähnlichen Gelände – schöne Sicht nach Süd und Nord! – treffe ich auf den Liechtensteiner Höhenweg, der mich nach einem kurzen Abstieg gleich wieder steigend über die Gross Furgga in die Schweiz zurückführt. Der Hornspitz vor mir gibt dabei ein gutes Fotosujet her.
Auf der Grossen Furgga angekommen sehe ich perfekt seitlich auf den Alpstein, ein mächtiger, endlos langer Felsriegel. Sein höchster Gipfel am hinteren Ende ist mein Ziel – die Schesaplana. Ich setze mich kurz hin und lehne mich dabei an eine kunstvoll geschmiedete Grenztafel an, von deren Sorte ich heute gleich mehrere Exemplare sehen werde. Ich kaue einen Fruchtriegel und studiere die grimmigen Wände. Ich bin gespannt auf den blauweiss-markierten Kettenweg, der mich da hindurch führen soll.
Dieser beginnt auf dem nächsten Grenzübergang, dem Salarueljoch. Der Pfad führt zunächst leicht ausgesetzt entlang der südlichen Kalkwände des Schafbergs, dann durch Schutt steil hinauf zum Fuss des Salaruelkopfs. Dort schlucke ich kurz trocken – die seilgesicherte, lange Traversierung der Wand über dem Schafsloch wirkt extrem ausgesetzt und scheint nur für gute Nerven geeignet zu sein. Doch wie so oft täuscht der erste Eindruck! – die Passage ist viel weniger schwierig zu überwinden als befürchtet. Nur Höhenangst ist hier ein schlechter Begleiter.
Auf dem Pass betrete ich wieder österreichischen Boden – und die Szenerie ändert total. Der (einst) stolze Brandnergletscher breitet sich weiss-bläulich vor mir aus, darunter grüssen die Mannheimerhütte und das Montafon. Wunderbar!
Ich muss nun zwischen zwei Varianten wählen – entweder die leicht absteigende Route über den spaltenlosen Gletscher, oder jene über die Schafköpfe, die auf der Karte nicht eingezeichnet ist, aber mit Wegweiser und (unregelmässigen) weissen Punkten markiert ist. Ich entscheide mich für die Letztere, die zwar über einige Schneefelder und Blöcke führt, aber immer eindeutig und nie schwierig ist (T4). Nach dieser weglosen Passage erreiche ich den nächsten Pass mit dem vielbegangenen, von der Schesaplana-Hütte kommenden Wanderweg, der nun wiederum auf der Schweizer Seite durch feinen Schutt auf die Schesaplana führt.
Mit der Ruhe ist es jetzt schlagartig vorbei. Der höchste Rätikoner ist von der österreichischen Seite viel leichter (nur 1000Hm Steigung) zu erreichen und entsprechend gut frequentiert. Auch wenn es ein Montag ist – mindestens 30 Berggänger bevölkern den Gipfel, an Wochenenden werden es wesentlich mehr sein. Das Gipfelplateau ist jedoch gutmütig und bietet genug Platz für alle.
Nach einer erholsamen Pause – meine Beine spüren die 2000 Meter Steigung, switche ich erneut nach Österreich hinüber. Ich steige über die bei Nässe knifflige Ostflanke zur steinigen, ehemaligen Gletscherlandschaft der Totalp ab. Es zieht sich, bis die markante Gamslugga (nach einem kurzen, giftigen Gegenanstieg) erreicht wird, die mich für heute definitiv in die Schweiz zurückbringt.
Es folgt ein ziemlich ausgesetzter, aber gut gesicherter Abstieg zu den grünen Wiesen des Rätikons hinunter. Ich benutze eine Schafspur, die mich entlang der Höhenkurve zur Golrosa bringt. Das Passhäuslein ist privat und leider keine Beiz, aber ein schöner Brunnen leistet perfekte Dienste. Mein eindeutig zu klein bemessener Wasservorrat ist längst aufgebraucht und das kühle Nass deshalb ein wahrer Segen.
Rehydriert und gut gelaunt folge ich schliesslich dem Pfad zum Schuderser Maiensäss. Dieser führt nochmals leicht steigend – ich beginne langsam die müden Beine zu spüren – auf einen ellenlangen Grasgrat, der einen herrlichen Blick ins Prättigau bietet. Ich surfe hinunter und werfe auch immer mal wieder einen Seitenblick auf die mächtige Sulzfluh im schönen Vesperlicht, der schöne Erinnerungen an eine spannende Klettertour mit Lea hervorruft.
Trotzdem bin ich froh, ein Taxi ins Maiensäss bestellt zu haben, denn der letzte Bus in Schuders (16.40 Uhr) ist nicht zu schaffen und die letzten 400Hm Abstieg spare ich mir gerne. Viel Zeit spare ich zwar nicht, denn der tiefliegende Tesla des Fahrers war nicht die beste Wahl für den holprigen Weg … dafür unterhalte ich mich nach dem langen Tag bestens mit dem freundlichen Pakistani, der mich bis nach Malans zurückfährt.
Tourdatum: 13. September 2021
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Was für ein perfekter Tag für eine wirklich lange Tour! Wie immer mit wunderschönen Bildern.
Danke für’s Mitnehmen Edwin.
sehr schön, würde mich gerne mal anschließen 😉