Romantische Derborence

Eine Halbbesteigung eines Steinmonsters, ein wildes Tal voller Überraschungen und ein kühles Bad in einem zauberhaften Bergsee. Soviel Abwechslung bietet die zweite Etappe meiner West-Ost-Transversale vom Grand Muveran zum Talkessel von Derborence mit seinem vielbesungenen See.

Nach dem Frühstück in der Cabane Rambert packe ich meinen Rucksack, lasse ihn aber im Vorraum stehen. Nur mit einer Flasche Wasser am Gurt spure ich auf den Pfad zum Grand Muveran ein, dessen Wände sich gleich hinter der Hütte auftürmen. Das Ziel ist noch offen. Zum Gipfel sind es zwar nur rund 1.5 Stunden, aber die Querung der Südwand soll sehr brösmelig und ausgesetzt sein (T5, II). Mein Motto heute: nur soweit es Spass macht. So erreiche ich bald die erste Felsstufe, die mit einfacher Kraxlerei überwunden wird. Die zweite Rampe erfordert schon etwas mehr Handarbeit und Orientierungssinn (Tipp: ausholen nach Osten, dann seitlich durch einen Kamin hochklettern (I-II)). Dann beginnt die Querung der Südwand im zunächst noch steinig-grasigen Gelände. Bei einer markanten Kante steht ein Steinmann und der letzte Grashalm. Dort habe ich genug. Das folgende Queren im losen Gebrösmel in grosser Ausgesetztheit ist heute nicht mein Ding.

Die Südwand des Muveran
Bis hierhin und nicht weiter – fast wie ein Gipfelerlebnis

Ich setze mich hin und beobachte die drei junge Alpinistinnen vor mir, die sich in der Wand abmühen. Ich beglückwünsche mich selbst, dass ich heute „Halt“ sagen kann. Die Aussicht ist genial, das Wetter auch. Ein guter Tag. Happy me.

Zurück in der Hütte erledige ich ein paar Telefonate und schnalle mir dann den Rucksack an. Nächstes Spontanziel: Ein Rudel Steinböcke, das auf dem Gegenhang unterhalb der Hütte ein Sonnenbad nimmt. Da will ich hin. So gesagt, so getan. Ich schleiche mich an die Tiere heran, die bald ein paar schrille Warnpfiffe absetzen und aufstehen, dann aber realisieren, dass ich nur auf Fotosafari bin. Sie beruhigen sich, setzen sich wieder – und lassen mich beobachten und fotografieren. Ein stimmiger Moment.

Kurze Aufregung – danach bin ich akzeptiert

Zurück auf dem Pfad tauche ich nun 200Hm ins Tal de L’Outanne ab um dann gleich wieder zum Col de la Forcle hochzusteigen. Ein kurzer, steiler Krampf durch Geröll, dem aber eine grossartige Belohung folgt. Denn hier oben erreiche ich das abgelegene Dorbonne-Tal, das mir überraschend viel Freude bereiten wird.

Der Blick zurück vom Col de la Forcle

Doch beginnen wir von vorne: Zunächst müssen die Spikes montiert werden, denn es liegt hier noch ziemlich viel Schnee. Auch im weiter unten liegenden See schwimmen noch kleine Eisberge. Der grosszügige Talkessel bildet eine herrliche Kulisse – die Fotos müssen nicht kommentiert werden:

Es folgt eine Schwemmebene, dann Karrengelände, dann wird es grasig. Geologische Wunder spielten sich hier ab. Den zahlreichen Murmeltieren ist es egal, ich verüble es ihnen nicht. Es folgt wieder eine grosse Schwemmebene, dann sehe ich die ersten Arven. Sie riechen gut und schmücken das wilde Tal. Weit unten sehe ich erstmals den grossen Talkessel von Derborence mit seinem zauberhaften See. Er scheint noch weit weg.

Da war mal eine grosse Rutschbahn…
…und dort ein See..
Der Blick in den Talkessel von Derborence

Ich suche gerade ein Plätzchen für meine Mittagspause, als ich eine kleine Alphütte mit zahlreichen Tibetfahnen und eine Jurte entdecke. Ob die wohl bewirtet ist? Ja, sie ist. Und wie! Der hausgemachte Eistee ist super und die frischgebackene Rösti mit Gruyère eine Wucht. Doch dann folgt die noch grössere Überraschung: Aus der einfachen Hütte erklingen auf ein Mal herrliche Klavierklänge – Passagen aus Schumanns Klavierkonzert. Wundersam. Ein Radio? Ich stehe auf und schiele in die Hütte hinein – ein Teenager sitzt am Klavier und spielt. So grossartig wie Yael, früher, als sie noch nicht Medizin studierte. Die Überraschung und die Musik berühren mich zutiefst. Warme Tränen kullern meine Wangen hinunter. Meine Glückshormone sprudeln.

Später nimmt der Junge auch noch ein Alphorn hervor und füllt das Tal mit den melancholischen Klängen von le Ranz de vaches. Doch da laufe ich schon wieder und verinnerliche den schönen Moment.

Der Pfad ist inzwischen zu einem Weg geworden und nähert sich immer mehr dem Talkessel, der im 18. Jahrhundert durch zwei gewaltige Felsabbrüche der Diablerets entstanden ist. Dem Gerücht nach sollen die Abbrüche diesen „Teufelsbergen“ sogar erst den Namen gegeben haben. Sie schufen ein verfluchtes Tal mit einem wunderschönen See und unberührtem Baumbestand, den C.F. Ramuz in seinen Roman „Derborence“ auch literarisch verewigte.

Romantik pur

Unten am See treffe ich auf eine Beiz mit grossem Parkplatz und viel Betrieb. Das ertrage ich jetzt gerade nicht und laufe darum weiter ans andere See-Ende, wo ich in Ruhe ein kurzes Bad im kalten Wasser nehme. Nach zwei Hüttennächten ohne Dusche ein Segen. Frisch und vergnügt erreiche ich wenig später die Bushaltestelle bei Godey.

Die Bösewichte: Die Diablerets (Mitte rechts der Quille du Diable)

Hier fährt um 16.50 der letzte Bus ins Tal. Den nehme ich, um eine Nacht „Einzelzimmer mit Dusche“ zu schnappen. Die Fahrt über das enge Strässchen ist ein Abenteuer für sich, aber das gehört hier nicht mehr hin.

Tourdatum: 10. August 2021

Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

Hier geht es zur nächsten Etappe

Hier geht es zur vorherigen Etappe

Notabene:

Ich würde diese Etappe (ohne Grand Muveran) bei einem nächsten Mal an der Bergstation Jorasse oberhalb von Ovronnaz beginnen um eine Hüttennacht zu vermeiden. Der Wegweiser gibt dort 6 Std. nach Derborence an.

3 Kommentare

Schreibe einen Kommentar