„Den“ Hohgant gibt es nicht. Wer das geologisch spannende Massiv mit seinen Gipfeln und Plateaus in allen Facetten erleben will, muss es überschreiten. Meine Tour beginnt beim Kemmeribodenbad im hintersten Emmental und führt über den Grüenebergpass nach Habkern.
Die berühmte Meringuebeiz Kemmeribodenbad ist montags geschlossen. Immerhin gibt es einen Espresso und einen Zwetschgenmuffin aus dem Foodtruck vor dem Haus. Corona hat auch erfreuliche Innovationen hervorgebracht. Schon aus dem Bus habe ich die lange Hogantkette bestaunt, nun folge ich dem Asphaltsträsschen bis zu seinem östlichen Einstieg. Die junge Emme hat sich hier tief zwischen der Schrattenfluh und meinem Gipfelziel eingegraben.
Hinter einer Stallruine beginnt der unmarkierte Pfad, der steil durch den Wald auf den Grat führt. Es ist überall noch klitschnass, über die Wurzeln ist volle Aufmerksamkeit gefragt. Leider liegt Meteoschweiz zumindest für den Morgen noch daneben, es nieselt immer wieder aus den Wolken, die vom kräftigen Westwind durch die Talschaften gejagt werden. Ich bin ganz froh, dass ein etwas ausgesetztes Stück bei dieser Nässe mit Seilen gesichert ist.
Beim Umrunden des Brünneligrindes erblicke ich den nassen Furggegütsch und weiss sofort, dass das heute mit der geplanten Kraxlerei über den Ostgrat nichts wird. Ein kleiner Rückschlag, stattdessen erfreue ich mich über den herrlichen Blick hinunter ins Emmental. Dann meistere ich das Teilstück über die Karrenfelder des „Grätlis“, das neben Vorsicht – die Kanten sind messerscharf – etwas Orientierungssinn voraussetzt, da kaum mehr Wegspuren vorhanden sind. Das bessert sich nach der kleinen Schutzhütte bei Pt. 1950 wieder, und nach einem kurzen Abstieg biege ich unter dem Furggegütsch auf den Wanderweg zur Hohganthütte ein. „Zu schmierig, zu nass“, konstatiere ich nochmals, als ich etwas wehmütig auf den spannenden Ostgrat blicke.
Aber alles hat sein Gutes – als ich die unbewartete Hohganthütte erreiche lässt mich das SAC-Team, das gerade den Sommerputz macht, spontan an ihrem Mittagsmahl teilhaben – Suppe, Würstli, Kuchen – was will man mehr! Vielen Dank nochmals!
Von der Hütte steige ich über den Normalweg weiter zum Furggegütsch (2197m, höchster Punkt des Massivs), den ich ein gute halbe Stunde später erreiche. Der Umweg hat zwar einige Höhenmeter, aber weniger Zeit gekostet als gedacht. Und angesichts des bessernden Wetters werde ich dafür sogar noch mit der besseren Aussicht belohnt! So ganz langsam beginnt sich jetzt nämlich auch die Berner Alpenkette von ihrem Wolkenvorhang zu befreien. Aber die Berner Granden können ruhig auch noch etwas warten, zu spannend ist das Gelände ummittelbar um mich herum. Tiefblicke, Einschnitte, skurrile Felsformationen – you name it.
So folge ich vom Furggegütsch der Wegspur den grasigen Gratrücken hinunter, umgehe die markanten „Drei Bären“ und steige danach auf die „Steinige Matte“. Die ist echt eindrücklich – wie ein Fussballfeld galaktischen Ausmasses breitet sie sich vor mir aus – topfeben und gespickt mit Steinbrocken. Wunderbar!
Ich folge diesem Feld nach Westen, wo es absinkt und beim „Aff“ wieder zu einem schmalen Grat wird, wo sich das Massiv fortsetzt. Zunächst über den Wysschrüzgrat, der immer wieder dramatische Blicke in die steile Nordseite gewährt, dann entlang einer grossartig beblumten Flanke, erneut über einen felsigen Grat mit einem beleiterten Durchstieg, schliesslich folgt ein letzter kurzer Aufstieg zum Trogenhorn.
Als Belohnung für die Mühe ist der Himmel jetzt fast wolkenlos geworden. Zeit für eine lange Pause – Schuhe aus, Socken trocknen, chillen, essen, geniessen. Basta. Herrlich. Genau in diesem Moment meldet sich Gabriel, der sich zu meiner Freude als Begleiter für die morgige Überschreitung der benachbarten Sibe Hängste anmeldet. Ich bleibe fast eine Stunde sitzen und versuche immer wieder ein noch schöneres Foto von Eiger, Mönch, Jungfrau und Konsorten zu schiessen.
Der zeitweise steile, abwechslungsreiche Abstieg über den Gratrücken und durch den herrlich duftenden Föhrenwald bis zum Grünebergpass verlangt nochmals volle Konzentration. Noch ist die Nässe ein unberechenbarer Begleiter, vor allem dort, wo der Boden mit Wurzeln übersät ist.
Der letzte Teil der Wanderung ist eine Fleissübung. Vom Pass führt ein Alpsträsschen hinunter zum Traubach und weiter nach Habkern. Aber was solls, das entspannt die Muskeln, und so erreiche ich zufrieden das Sporthotel in Habkern, wo eine gute Dusche und ein feines Nachtessen auf mich warten.
Tourdatum: 5. Juli 2021
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben (Hinweis: aufgrund der Karrenfelder zeigt Schweizmobil ca. 400 Höhenmeter zuviel an, es sind geschätzt nicht mehr als 1600m)
Hallo Edwin,
danke für deinen Tourbeschrieb zur Hohgant-Überschreitung – einer meiner Lieblingsberge im Berner Oberland !
Du erwähnst, dass Du dich am Folgetag in das Gebiet der Sieben Hengste aufmachen willst. Diesen etwas „unwegsamen“ Kamm wollte ich auch schon längst einmal erkunden. Hast Du dazu Tipps bezüglich Route bzw. lohnende „sidewalks“….
Freue mich immer über deine Wander-Posts ! Keep on going !
Grüsse von Jörg (Ex-Bilanz)