Mit Pauline will ich heute die Alpenpanorama-Route fortsetzen. Aber wie kommen wir vom Walensee zum Sihlsee? Die offizielle Route führt durch die Linthebene und über das Stöcklichrüz. Den flachen Gwaggel wollen wir uns nicht antun, und auf dem Stöcklichrüz war ich dieses Jahr schon im April. Also steigen wir durch das Niederurner Tal zur Rossweidhöchi, durchqueren das untere Wägital zur Sattelegg und steigen vom Rinderweidhorn nach Willerzell ab. Eine lohnende Alternative.
In der Bäckerei Studer in Niederurnen decken wir uns mit frischen Sandwiches und heissen Kaffee ein. Letzteren schlürfend, schlendern wir zur kleinen Morgenholzbahn am oberen Dorfrand. Sie hievt uns innert weniger Minuten 500m hoch, sodass wir die Etappe auf der gleichen Höhe beginnen können, wie wir die letzte in Amden beendet haben.
Es ist seelenruhig im engen Tälchen, noch sind erst wenige Kühe auf der Alp. Ein typischer Ausflug von hier führt zu den Aussichtskanzeln Hirzli und Planggenstock, aber die lassen wir aus. Wir folgen dem Boden des tiefgrünen Tälchens, das südlich durch die felsigen Flanken von Wageten, Brüggler und Chlöpfenstock begrenzt ist, bis an ihr Ende und bestaunen die kunstvollen Holzschnitzereien am Wegrand.
Später tauchen wir in einen mit Blöcken durchsetzten, wilden Wald ein – die bröckeligen Wände des Chlöpfenbergs lassen grüssen! – und überschreiten ein paar Restschneefelder. Bald lichtet sich das Holz, und wir stehen auf der Wasserscheide der Rossweidhöchi. Hier erwartet uns nicht nur das Wägital, aber auch ein prächtiger Fernblick auf den Zürichsee. Damit hatten wir nicht gerechnet – cool! Fotos, Trinken, sich gegenseitig bestätigen, dass die Voralpen so nah bei Zürich eben auch etwas Besonderes sind.
Der Pfad ist schön angelegt. Kleine Treppchen und schmale Bretter führen durch das sumpfige Gelände, die Frühlingsblumen strecken ihre Köpfchen um die Wette gegen die Sonne. Bald sehen wir den ganzen Kranz der Wägitaler Gipfel – von Bockmattli über Schiberg, Zindlenspitz, Mutteristock und Fluebrig. Links der Sattelegg erheben sich zudem die markanten Zwillinge Grosser und Kleiner Aubrig.
Der Sumpfpfad endet bald an einem Alpsträsschen. Wir folgen diesem auf der nördlichen Flanke ins Tal hinunter. Südlich wäre kürzer, aber das führt durch den Wald. Wir bevorzugen die freie, wunderbare Sicht.
Wir laufen nebeneinander und haben nun viel Zeit zum Reden. Meine Schwester hat vor wenigen Wochen überraschend und viel zu früh ihren Mann verloren. Sie geht tapfer damit um. Trauer und vorsichtiges, zuversichtliches Vorwärtsschauen sind in bemerkenswerter Balance. Ich bewundere sie dafür. Und es ist schön, zusammen mit dieser genetisch gleichgestrickten Sportlerin zu Wandern. Ich glaube, sie geniesst das auch.
Ein Bauer lässt uns das Gespräch unterbrechen. Er steht in der Magerwiese und scheint zu jäten. Was er denn mache, fragen wir ihn angesichts des schier endlos scheinenden Unterfangens. „Der zottige Klappertopf ist giftig“, meint er, und zieht kräftig an der nächsten Staude mit ihren zarten, gelben Blüten. Ich wage nicht, dies angesichts des aktuell hitzig geführten Abstimmungskampfes zur Pestizidinitiative zu kommentieren. Aber tauschen mit ihm möchte ich nicht. Wir wünschen ihm viel Glück und setzen unseren Abstieg fort.
Bei der Schwändener-Kapelle (mit kleiner Beiz) verlassen wir das Strässlein und steigen durch den Wald zum Bach ab. So kommen wir zur Kraftwerksiedlung Rempen, wo das Wasser des Wägitalersees durch die Turbinen des E-Werks tost. Es folgt ein Kilometer Hauptstrasse ohne Trottoir, aber das ist schnell vorbei. Kurz vor Vordertal zweigt die Passstrasse zur Sattelegg ab, wo auch wir wieder Kies unter die Füsse bekommen.
Der Wanderweg durch dieses Seitentälchen zur Sattelegg wird wohl wenig begangen. Er ist nicht besonders gepflegt und auch die Beschilderung ist ungewohnt mangelhaft. Verkehrt wird hier meist auf Rädern, wie der Lärm heulender Boliden und getunter Autos von der nahen Passstrasse unschwer erkennen lässt. Trotzdem, der stündige Aufstieg zum Fuss der beiden Aubrigs auf der Passhöhe hat durchaus seine Reize. Insbesondere im stillen, oberen Teil, wo ein scheues Reh die Wildheit des taigaähnlichen Mischgeländes geniesst und sich ungern durch uns erschrecken lässt. Wenig später erreichen wir die Sattelegg und widmen uns dem Kuchenangebot der Passbeiz.
Vor dem Schlussabstieg durch das Rickental nach Willerzell wandern wir noch die kurze Strecke zum Rinderweidhorn hoch. „Horn“ ist zwar die falsche Bezeichnung, „Kopf“ würde eher passen. Von diesem Grashügel lässt es sich aussichtsreich über einen begrasten Rücken zum Sihlsee absteigen. Bei der Miesegg ist die Sicht auf die Seelandschaft und den gefälligen Amselspitz am schönsten. Der Bauer hat geschickt den Wanderweg um seinen Hof herum gelenkt. Wenn ich an den Trubel schöner Sonntage in Stadtnähe denke, verstehe ich ihn.
Das letzte Teilstück ist flach, und so erreichen wir schon richtig entspannt und „ausgelaufen“ das Seeufer. Auf der Terrasse des in die Jahre gekommenen, aber traumhaft gelegenen „Schlüssels“ lassen wir uns nochmals verwöhnen. Für das Reststück entlang der Strasse nach Einsiedeln nehmen wir den Bus.
Tourdatum: 4. Juni 2021
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Lieber Edwin, liebe Wanderbegeisterte – der kleine Umweg über den Brüggler wäre auch sehr lohneswert. Ich bin begeistert vom dort neu angelegten blau-weissen Bergweg, Teil der Via Glaralpina.
Liebe Monika
Da hast Du völlig recht. Es hat auf dem Weg zum Wänifurggel derzeit jedoch noch (zu) viel Schnee. Die abenteuerliche Brüggler-Überschreitung empfehle ist eher von der Südseite her. Das Schwändital ist auch sehr schön und man kann bis 1200m hochfahren. Ich habe den Brüggler letztes Jahr mit dem Ostgrat zum Chlöpfenberg kombiniert, sehr spannend! (Diese Tour dann aber aus Risikoüberlegungen (>T5) nicht beschrieben).