Ein Kernstück meines neuen Mehrjahresprojekts, eine West-Ost Transversale der Schweizer Alpen, führt quer durch das UNESCO Welterbe Jungfrau-Aletsch. Die Zweitagestour bringt uns ins Herz der Berner Hochalpen – von Blatten im Lötschental über sieben Gletscher und vier Pässe zum Grimselpass (Oberwald/VS). Wir entschliessen uns, die lange Hochtour mit den Skis anzugehen, darum ziehen wir sie auf den April vor. Ein traumhaftes Erlebnis, das zwar Kondition erfordert, aber nichts zu wünschen übrig lässt.
Es ist noch kalt in Blatten, als wir unsere Zimmer im Boutique-Hotel Breithorn (empfehlenswert!) verlassen. Der Himmel ist blau, der Restschnee tiefgefroren. In weiter Ferne schimmert das Licht durch die Lötschenlücke am Ende des Tals, unser erstes Zwischenziel. Die ersten Kilometer tragen wir die Ski, wir folgen dem Wanderweg zur Fafleralp und laufen uns schön warm. Die Spuren des zu Ende gehenden Winters sind eindrücklich. Lawinenkegel, zermalmte Bäume, verschüttete Hütten. Es ist wild im Lötschental.
Auf der sonnigen Fafleralp ist es noch ruhig, der grosse Sommerparkplatz liegt unter dem Schnee, das Hotel ist geschlossen, die kleinen Chalets verriegelt. Das Strässchen dient den Türelern des Klassikers Jungfraujoch-Lötschenlücke-Lötschental noch bis anfangs Mai als Piste bis Blatten.
Bei der Brücke ziehen wir die Skischuhe an und schnallen die Skis unter die Füsse. Die Sonne wärmt trotz leichter Bise gut, die Pullis verschwinden in den Rucksack, eine dicke Schicht Sonnencrème wird zum Muss. Wir steigen gemächlich das jetzt breiter werdende Tal hoch, schlanke Fichten säumen unseren Weg, wobei der letzte Baum lustigerweise eine einsame Birke ist, wie Pesche erstaunt feststellt.
Unterhalb der Anenhütte (nur im Sommer offen) richtet sich der Steigwinkel etwas nach oben, wir erreichen den Langgletscher. Rechts ragen die schroffen Felsen des Schin- und des Sattelhorns hoch, links ist es offener. Zunächst zeigt sich der Petersgrat, später die Südseite des Berner Breithorns, es folgen Gross- und Morgenhorn. Von ihren Gipfeln herab fliesst der zerklüftete Anungletscher ins Tal. Ein anmutiger Anblick.
Das angenehme, langsame Steigen hat seine Schattenseite. Der 1700m-Aufstieg zur Lötschenlücke zieht sich hin, sehr lange. Langgletscher eben. Erst nach dem Plateau des Grossi Tola steilt das Gelände erstmals merklich auf. Mein Puls schnellt hoch, ich rutsche mehrmals in der Spur zurück und ärgere mich kurz, die Harscheisen nicht montiert zu haben. Doch bald flacht es wieder ab, Lücke und Hollandiahütte kommen immer näher. Knapp fünf Stunden nach dem Frühstück erreichen wir den Pass und blicken fasziniert durch den Eingang in die Aletscharena.
Jetzt aber Energie tanken, Felle weg, Fotos! Und schon gleiten wir das Aletschfirn hinunter zum Konkordiaplatz. Viele Schwünge erlaubt der flache Gletscher nicht. Im Gegenteil, für meinen Geschmack etwas zu oft müssen die Stöcke mit kräftigen Armstössen das Vorwärtskommen bewerkstelligen. Das kostet Kraft und Mühe, rechtfertigt aber auch häufiges Pausieren, um die enorme Dimension der Eisarena zu bestaunen und mit dem iPhone festzuhalten.
Mitten auf dem gigantischen Konkordiaplatz werden die Felle wieder montiert. Es ist nicht mehr weit zur Mauer, auf der die Konkordiahütte steht. An dessen Fuss lassen wir die Ski zurück und greifen zur Leiter, die den Einstieg in ein 130 Meter hohes, luftiges Abenteuer bildet: die schwebenden Eisentreppen mit ihren 430 Tritten zur Hütte. Die Luft ist dünn und die Tritte sind hoch. So wird auf jedem Absatz innegehalten um den Puls zu senken. Es scheint unfassbar, dass die Hütte einst nur 50 Meter über dem Eismeer thronte. Rund 50cm Eisdicke gehen seit 1945 jährlich verloren – aber es hat immer noch viel!
Schliesslich stehen wir auf der Terrasse der geschichtsträchtigen Hütte und Walter und ich lassen uns erleichtert auf eine Bank niedersinken. Bald steht ein kühlendes Grapepanache (Pesches Mischung aus Grapefruit und Bier) vor uns. Jetzt haben wir viel Zeit und Musse, um uns inmitten dieser Traumlandschaft dem Bergsteigerlatein zu widmen und um neue Kräfte für die morgige Königsetappe zu sammeln.
Beim Abendessen bestaunen wir schliesslich die Kapriolen, die der Biswind mit den Wolken um die Viertausender treibt. Was für ein Schauspiel! Spät in der Nacht trocknet die Luft schliesslich ganz ab, und als ich frühmorgens aus meiner Koje zum Fenster hinausschaue, fühle ich mich mitten im Herzen der Alpen (Titelbild).
Tourdatum: 22. April 2021
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
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