Der Vorteil eines Gletschertrekkings, das auf 3500m beginnt, ist ein wenig anstrengender Start und ein frühmorgendliches Panorama-Plaisier. Die Tête Blanche ist von der Cabane de la Dent Blanche aus schnell erobert, die spätere Erklimmung der Leitern zum Lunch in der Cabane de Bertol erfordern da schon etwas mehr Power. Richtig gemütlich wird es am Ende der Tour im Garten des Vintage-Hotels in Arolla.
Wir sind heute morgen die einzigen Bergsteiger in der SAC-Hütte, die nicht um vier Uhr aufstehen um die Dent Blanche zu erobern. Ein wenig wurmt mich das schon, aber unser heutiges Ziel ist ja Gletscher-Trekking, darum bleiben wir bis sechs Uhr in unseren Kojen liegen. Wir frühstücken und machen uns dann bereit für die Überschreitung des Plateau d’Hérens. Die Steigeisen brauchen wir nicht, der frischgefallene Schnee vom Wochenanfang ist schön verfirnt und perfekt zu begehen.
Wir steigen auf den Gletscher ab, seilen uns an und folgen in etwa der 3400m-Höhenlinie. Es ist windstill, der Himmel stahlblau, die Gletscherlandschaft ein Traum in Weiss. Genussvoll schweigend und staunend schreiten wir voran, nur das Knirschen unter den Schuhen bricht die Stille.
Ich beliebauge abwechselnd die Zinnen, Zacken und Spitzen um mich herum. Die fernen Gipfel im Berner Oberland, die grazile Aiguille de la Tsa, immer mit unserem ersten Ziel vor Augen, die gutmütige Tête Blanche als obersten Punkt des wogenden, zerspaltenen Gletschermeeres.
Bald erreichen wir den Col d’Hérens, wir erblicken nun auch die berühmten Viertausender des benachbarten Mattertals, allen voran das Matterhorn, dann die Monte Rosa-Gruppe, später im Rückspiegel auch das Weissmies und die Mischabel-Gruppe mit dem Nadelgrat. Gerne erinnern wir uns gegenseitig an die gemeinsamen Touren auf diese Gipfel! Wie starr und friedlich sie doch dastehen!
Vom Pass steigen wir gemütlich und wenig steil die nur knapp 300 Höhenmeter zur Tête Blanche hoch. Hier erwartet uns der Tief- und Fernblick nach Italien – aber auch ein böser Biswind, der uns fast vom steinigen Gipfelgrat wegbläst. Schnell wird aus T-Shirt Anorak, auch die Kapuze ist geschätzt. Wir bleiben nur eine Viertelstunde auf diesem wunderbaren Aussichtspunkt stehen, der uns sogar freie Sicht zum Mont Blanc bietet, dann steigen wir rasch wieder ins windgeschützte Gefielde ab.
Der lange Gwaggel zur Bertolhütte führt langsam sinkend zunächst an der gewaltigen Eiswand der Tête de Chavannes vorbei, dann entlang des Col de Bouquetins über das bekannte Teilstück der Haute Route bzw. der Patrouille des Glaciers zum Col de Bertol. Inzwischen brennt die Sonne schon richtig intensiv, und der Schnee wird von Minute zu Minute weicher. Gerade noch vor dem grossen Waten erreichen wir die Stahlleitern am Fuss des Felsturms am Col de Bertol.
Zuoberst trohnt frech die gleichnamige SAC-Hütte. Die Erklimmung dahin ist ein kleines Abenteuer für sich, das langsam angegangen werden muss. Wir spüren die dünne Luft, als wir die Sprossen etwas (zu) schnell hochsteigen.
Gestärkt nach einer deftigen Portion Rösti noch vor der Mittagsstunde steigen wir später die noch steileren Leitern auf der anderen Seite des Passes hinunter. Der Abstieg über das lange, steile Schneefeld in Richtung Arolla ist anspruchsvoll, wobei die U50er-Pesche und Rico das mit viel rutschender Leichtigkeit angehen, ich selber habe zunehmend Respekt vor diesen Situationen und gehe es langsamer an.
So ist aber die 3000er Grenze rasch unterschritten, und nach etwas Trümmerhüpfen erreichen wir bald Grünes. Auf der Plan de Bertol entledigen wir uns der langen Hosen und der schweren Schuhe, es ist heiss geworden.
Wir blicken nochmals in das Tal zur spektakulär gelegenen Hütte zurück, bevor wir uns dem stolzen Mont Collon, seinem weissen Hut und dem prächtigen Gletscher zuwenden, der ihn umfliesst. Es ist ein besonderer Berg – von oben gesehen geht er unter in der Masse – aber vom Tal her ist er der unumstrittene Herrscher von Arolla.
Das gilt besonders auch, als wir nach dem langen Abstieg (und einem kleinen Aufstieg in der Gluthitze als Dessert) das ehrwürdige Grandhotel & Kurhaus erreichen, das mitten im herrlich duftenden Lärchenwald über dem kleinen Dorf Arolla steht.
Nach 14 Jahren komme ich gerne in dieses Vintage-Haus zurück, das unverändert die Gründerzeiten des Alpen-Tourismus konserviert. Die Schwarzweiss-Fotos an den Wänden, die vergriffenen Bücher in der Bibliothek, die tiefen Stoffsessel im Salon, die Reception im Holzkasten. Aber mit gepflegten Holzböden in den minimalistisch eingerichteten, aber ordentlichen Zimmern.
Im grosszügigen Garten warten die Liegestühle unter dem Bäumen auf uns, auf denen wir es uns bald mit dem Mont Collon vor Augen und ein Bier in der Hand gutgehen lassen, um uns nach der kurzen Nacht für den morgigen Tag etwas auszuruhen.
Tourdatum: 7. August 2020
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
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