Glück am Col du Mont Rouge

Es wird die abwechslungsreichste Hochtour dieses Jahres. Vier Pässe, und damit viele verschiedene Geländekammern, liegen an unserer Alpinwanderroute von Arolla zum Lac de Mauvoisin. Eine felsig-grüne, zwei vergletscherte und eine steinige. Traumhaft schön. Aber die Route hat ihre Tücken, darum bin ich froh, ist ein Bergführer als Safety Agent mit dabei.

Kurz nach sechs Uhr verlassen wir das altehrwürdige Grandhotel & Kurhaus in Arolla, dessen Garten direkt an der Route 6 („Alpenpässe“) des Schweizer Wanderwegnetzes liegt. Wir werden ihr ein Weilchen folgen, unser erster Pass ist noch ein Wanderpass.

Wir steigen durch den wohlduftenden Lärchenwald in die Höhe und erfreuen uns am abnehmenden Mond, der hell über die Pigne d’Arolla leuchtet. Der Pfad zum Col de Riedmatten führt zunächst über sattgrüne Wiesen durch das antiquierte Skigebiet von Arolla (Tellerlifte). Am Talende beschenkt die Sonne die Turmspitze des kathedralenähnlichen Petit Mont Rouge mit ihren ersten Strahlen. Um uns herum wird es bald steiniger, wir durchwandern das Land der Murmeltiere, die uns Frühwanderer wenig scheu auspfeifen.

Pigne d’Arolla im Morgenlicht
Eine beleuchtete Kathedrale vor uns

Dann stehen wir vor der Wahl, über den Pas de Chèvres oder den Col de Riedmatten ins folgende Tal zu gelangen. Wir entscheiden uns für den etwas höheren Zweiten, da wir meinen, dort auf einen attraktiven Leiternweg zu stossen. Wir liegen falsch – der felsige Passdurchgang ist zwar eng und der Beginn des Abstiegs kettengesichert, aber die Leitern sind am Pas de Chèvres, wie wir später feststellen… Janu, so spektakulär wie jene gestern bei der Cabane de Bertol sind sie eh nicht. Hauptsache wir stehen bald im Talboden der Mondlandschaft auf dem versteinerten Cheilon-Gletscher. Eine neue, rauhe Welt tut sich hier auf – wir verlassen die Route 6.

Der doppelte Mont Blanc de Cheilon

Unsere Aufmerksamkeit wendet sich indes dem nächsten Zwischenziel am Horizont zu – dem Col de Cheilon am Talende. Links davon prahlt der Mont Blanc de Cheilon mit seiner schroffen Schönheit. Seine Spitze ragt aus der wilden Gletscherlandschaft heraus, eindrücklich glitzert sein mächtiger Eishelm auf dem Ostgrat!

Eistrekking

Wir folgen zunächst den orangen Markierungen, die über den blanken, aber mit feinem Kies gehfreundlich bedeckten Gletscher ein Durchkommen zur Cabane de Dix anzeigen. Doch bald visieren wir direkt den Pass an. Das Steinehüpfen über die grossen Mittelmoränen kostet Zeit, wir suchen Alternativen und finden sie in Form von Firnfeldern, die uns wieder zügiger vorankommen lassen. Am Fuss des Passes steilt das Gelände auf. Wir ziehen unsere Steigeisen an. Mit ihnen steigt es sich leicht, nur kurz vor der Passkante müssen wir etwas knifflig über eine kleine Felsbarriere klettern.

Auf dem Weg zum Col de Cheilon
Die letzten Meter zum Pass müssen erklettert werden

Auf dem Col dann wieder der erneute, totale Szeneriewechsel: Der flache Glacier de Giétro, die Fernsicht ins Unterwallis und zu den Berner Alpen, und vor allem zur linken die komplett vergletscherte Westflanke des Mont Blanc de Cheilon. Was für ein Fest für das Auge! Die folgenden zwei Kilometer über den Gletscher beanspruchen etwas Zeit, aber das Firn ist so richtig „al dente“ – es läuft sich trotz der Unebenheiten perfekt. Ich sprühe vor Freude und werde nicht satt vom Sehen.

Diese Eiswände!
Diese Eiswände II

Tsja, dann kommt der Col du Mont Rouge näher, und ich werde unruhiger. Wie sieht die Wächte auf der anderen Seite aus? Ein Foto in einem der ganz wenigen Berichte zum Pass auf hikr.org hatte mich bei der Vorbereitung der Tour ziemlich nervös gemacht. Wie stark ist sie abgeschmolzen? Können wir sie umgehen, müssen wir abseilen? Ich bin froh, dass Pesche bei uns ist. Er soll es dann lösen…

Pesche weiss immer Rat….
… aber die Wächte ist harmlos und kann umgangen werden

Aber wie es so ist im Leben – wer gut vorbereitet ist, kommt meist um die Challenge herum. Pesche sichtet und entwarnt – die Wächte ist schon fest abgeschmolzen und kann problemlos umgangen werden. Gut so! Damit steht einem entspannten Lunch auf dem weitläufigen Pass und Tageshöchstpunkt (3325) nichts mehr in Wege. Als kleine Erinnerung an mein Glück packe ich einen der namensgebende roten Steine für meine Sammlung ein.

Die ersten Meter des Abstiegs sind richtig steil, aber dank des weichen Schutts angenehm zu bewältigen. Weiter unten lässt es mit einem flachen Stein als Schlitten über Restschnee abrutschen. Ich schaue noch ein paar Mal zurück und schmunzle über das Auflösen der leisen Wächten-Sorge, die mich seit der Planung der Tour an Weihnachten begleitet hatte.

Blick zurück zum Col du Mont Rouge

Nach einem kurzen Gegenanstieg über Blöcke erreichen wir schliesslich den vierten und letzten kleinen Pass des Tages, den Col de Lire Rose, auf dem Südwestgrat der Ruinette. Von hier an gibt es wieder einen Pfad.

Nach soviel Eis und Fels erfreut die karge Vegetation, die jetzt wieder den Wegrand säumt. Bald bleibe ich stehen, um ein paar besonders üppige Edelweiss, Rotwurz und andere kleine floristische Schönheiten zu fotografieren. Aber auch die Deltalandschaft am Fuss des Brenaygletschers begeistert. Woher doch das grelle grün in diese Mini-Seelein kommt? Algen?

Es wird grüner und grüner, bald begeistert der anmutige Lac de Tsofeirat. Oder ist es der Kontrast mit der unendlichen Ostflanke des Grand Combin, der ihn so grazil aussehen lässt? Das Wollgras an seinem Ufer wiegt sich im leisen Wind – wie nah rauh und lieblich doch zusammenliegen.

Die Ostwand des Grand Combin und der Lac de Tsofeirat
Wollgras am Lac de Tsofeirat

Wir pausieren am Seeufer, und ich meine einmal mehr, den schönsten Wandertag aller Zeiten zu erleben. Was für ein Wetter, was für eine Landschaft, was für eine Erfüllung!

Der Lac de Mauvoison ist lange…

Zum Schluss steigen wir den langen Weg zum noch längeren Lac de Mauvoisin hinunter, dessen Staumauer viele Besucher anzieht. An ihrem Fuss steht die Auberge mit der Bushaltestelle, die das Ende unseres dreitägigen Gletscher-Trekkings markiert. Ein grosses Bier – dann Maske auf und ab ins Postauto.

Tourdatum: 8. August 2020

Interaktiver Kartenauschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben

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