Das Vallée du Trient lebt von seinem mächtigen Gletscher, der weit ins Tal reicht. Er ist zwar arg geschrumpft, aber die enormen Wassermengen aus seinen Zungen zeugen von Masse. Er dominiert unseren Aufstieg zum Fenêtre d’Arpette, ein winziger Durchgang für Wanderer ins Val d’Arpette. Dieses trumpft nicht mit Gletschern, sondern mit einer üppigen, umwerfenden Alpenpracht. Eine anspruchsvolle Tour voller Genuss – bis zum Schluss.
Wir verlassen die Auberge La Grande Ourse in Trient nach zwei Nächten als Freunde. Jungwirtin Ardita strahlt, als wir sie loben. Es ist nicht einfach, in diesem engen Tal erfolgreich zu sein. Die Saison ist kurz, immerhin bringt die Tour de Mont Blanc (TMB) während dreier Monate massenhaft Wandergäste aus aller Welt. Dieses Jahr allerdings nicht.
Wir folgen zunächst der alten Passstrasse zum Col de Forclaz. Eine Tafel am Wegrand orientiert über ihre Geschichte. 2850 Franken kostete 1858 die Erstellung des 2 km langen Teilstücks von Trient zum Pass, inklusive 30% Rabatt. Und ja: 1946 passierten hier durchschnittlich 30 Autos pro Tag die Strasse… was für Zeiten!
Wenig später erreichen wir die „Bisse Trient-Combes“, der wir nun taleinwärts bis zu seinem Ursprung folgen. Das Bewässerungsystem zieht viele Tageswanderer an, die später in der kleinen Beiz Glacier du Trient einkehren. An der Stelle, an dem das Wasser dem Gletscherbach entzogen wird. Eine wesentlich grössere „Bisse“ schnappt sich hier übrigens gleich 90% des Gletscherwassers und transportiert es durch Stollen zum Lac d‘Emosson…
Jetzt beginnt die lange Steigung zur Fenêtre d‘Arpette, die rund 1100 Meter höher liegt. Der Pfad ist gerade säuberlich freigemäht worden. Es ist der 1. Juli, die TMB-Saison ist eröffnet. Darum wohl die gute Pflege. Wir steigen zunächst durch Wiesen hoch, dann passieren wir die Krete einer mit Lärchen bewaldeten, blockigen Moräne. Es folgen steile Flanken, die mit gepflegten Treppenstufen entschärft sind, schliesslich erreichen wir die Geröllhalden. Der Aufstieg entlang des Gletschertals ist wesentlich abwechslungsreicher, als wir gedacht hatten.
Der Eispanzer hat zwar gewaltig gelitten, ist aber immer noch eindrücklich. Seine Séracs beugen sich erschöpft ins Tal – oder stellen sich verzweifelt auf, um der Talfahrt und damit der Schmelze zu entgehen. Knapp drei Stunden nach dem Abmarsch vom Trient erreichen wir die Blocklandschaft, die uns vom letzten Stück zum Fenster ins Arpette-Tal trennt. Ein-, zweimal muss mit den Händen zugegriffen werden. Wie eindrücklich – und wie gut das doch alles zusammenhält!
Auf dem Pass atme ich zuerst einmal auf. Nicht aus Erschöpfung, sondern weil das steile Couloir gegen Osten firnfrei ist. Damit steht einem sicheren Abstieg nichts entgegen. Denn auch mit Steigeisen hätte die Steilheit meine Komfortgrenze wohl überschritten. Das haben andere schon mit dem Leben bezahlt. Heute werden wir nicht einmal die Spikes brauchen.
Zunächst geniessen wir nochmals die Gletscherblicke auf Augenhöhe, auch die Seitenblicke auf die prägnanten Felsnadeln des Grats sind mehr als faszinierend. Danach steigen wir durch das Couloir ab.
Am unteren Ende freuen wir uns auf das Schneerutschen, denn hier ist die Steilheit gut zu bewältigen. Später mischen sich Blöcke in die Schneeresten, hier muss nochmals gut aufgepasst werden, Löcher können teuflisch sein. Aber bald zeigt sich ein Pfad und die Fortsetzung des Abstiegs ist purer Genuss.
Zunächst sind es einige Alpenrosen, die die Rückkehr zur Biomasse ankündigen, bald sind es unzählige Bergblumen. Könnte ich sie nur alle aufzählen, aber leider sind meine botanischen Kenntnisse nur elementar! Je weiter wir hinunter steigen, je majestätischer wird das Blumenfest, schliesslich waten wir geradezu durch die farbige Pracht.
Zuunterst auf der Alp Arpette mit seiner ansprechenden Herberge strotzen die Wiesen nur geradeso vor Lebenskraft.
Die Beiz zaubert uns reich befrachtete Crôutes de Fromage auf den Tisch, konsequenterweise fragt deren Verdauung nach einem Mittagsschlaf. Wo geht das besser als auf der Blumenwiese?!
Relaxt und tief zufrieden nehmen wir schliesslich die letzten 30 Minuten nach Champex hinunter unter die Füsse. Auf dem Weg zweigt zu meiner Überraschung ein Kanal vom Bach ab, der dem langen Hang durch den Wald folgt. Unser Wanderweg begleitet ihn. Er scheint schliesslich nur einen Zweck zu haben: den See von Champex zu füllen.
Dort vergnügen sich einige Kinder mit Pedalos, sonst ist das Dorf noch verschlafen. Während Walter nun leider „kurz“ nach Zürich muss, checke ich im (schönen!) Hotel Mont-Lac ein – als einziger Gast. Auch schön.
Tourdatum: 1. Juli 2020
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
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