Endlich komme ich dazu, den Churer Hausberg zu besuchen. Zwar nicht wie angedacht schweisstreibend aus Vättis, sondern kurzweilig im T3-Modus von der Vazer Alp aus. Nach einem blumenreichen Surfen durch Murmeliland und der Erklimmung einer steilen Rampe erreichen wir den gutmütigen Gratrücken des Kalksteinbrockens in gut zwei Stunden. Eine dankbare, nicht allzu lange Tour.
Der letzte Schrei für jene, denen die 2300 Höhenmeter aus Chur zu viel sind, ist das eBike. Mit ihm lässt sich die frech auf der Kante alpiner Weiden gelegene Calandahütte (2074m) als Startpunkt für den Gipfelweg mehr oder weniger bequem – je nach Einstellung der Steighilfe – erreichen. Die traditionelle motorisierte Alternative ist das Alpsträsschen von Untervaz zur Vazer Alp, für die bequem per SMS eine Fahrbewilligung gelöst werden kann. Die kurvenreiche Fahrt dauert, aber immerhin stehen wir beim Parkplatz schon auf über 1750m, der Haldensteiner Calanda scheint hier zum Greifen nah.
Ein schmaler Pfad führt uns von der Alp durch von Blumen nur so strotzende Wiesen aussichtsreich und rasch zur Wolfsegg, wo sich eine riesige „Ebene“ vor dem Calanda-Massiv ausbreitet, die Haldensteiner Alp. Hier ist Murmeliland. Die putzigen Dinger tollen so entspannt herum, dass wir schon bald mutmassen, ob sie einfach zahm oder von Gebirgskräutern betäubt sind. Nicht ganz ungefährlich, denn über ihnen kreist ein mächtiger Steinadler, der sich wie im Schlaraffenland vorkommen muss.
Kurz vor der Calanda-Hütte kürzen wir etwas ab und streben über einen grasigen Rücken zum Gipfelweg. Dieser Pfad ist breit, er wurde mit dem Presslufthammer gewaltsam aus der felsigen Umrandung der „Calanda-Siten“ geschlagen. Auf dieser Flanke angekommen, steigt der Pfad richtig steil an, die Bündner Wegbauer kannten da keine Gnade. An heissen Tagen wird hier wohl kräftig geschwitzt, heute decken jedoch die frühen Cumuli die Sonne mehrheitlich ab. Auch der Wind kühlt die dampfende Maschine angenehm. Kurz vor dem Grat lehnt sich das Gelände zurück und macht den Blick frei auf den Gipfel.
Der Gratrücken ist breit und gutmütig. Er fällt zwar gegen Osten bald senkrecht ab, die letzten Wächten schmelzen sachte vor sich hin. Gegen Westen ist mehr Platz, der Einblick in die wilden Täler rund um den dominanten Ringelspitz eindrücklich. Aufmerksam blicke ich auch in die endlose Tiefe nach Vättis und versuche, die blau-weiss-blaue Aufstiegsroute zu erahnen.
Die aufwärts geschichteten Steine bieten sodann perfekte Fotosujets vor diesem Hintergrund. Überhaupt scheint der Gratrücken inspirierend zu sein. Ist es ein Kraftort, wie Walter meint? Diverse von Menschenhand geformte Steinformationen zeugen von Fantasie und Faszination.
Für die letzten 10 Minuten zum Gipfel wird es dann doch noch alpin. Ein kurzes Abklettern im ersten Grad, ein paar gezielte Einsätze der Hände, die letzten Meter zum Gipfel erfordern Trittsicherheit. Dann begrüssen uns die beiden Gipfelkreuze. Ein mächtiges Hölzernes für die Bündner und ein kleines Eisernes für die St. Galler meint Sevi. Ob das wohl stimmt?
Tant pis – uns kümmert vor allem die prächtige Aus- und Fernsicht, die zwar wechselnd wolkenbeeinträchtigt, aber umfassend ist. Wir meinen die halbe Schweizer Bergwelt zu erkennen, so frei steht dieser Calanda. Uns ist es wohl. Mit etwas Tourenlatein und dem Genuss des Spiels von Licht, Wolken und Wind fliegt die Zeit der Pause um.
Der Abstieg ist schnell erzählt – der gleiche Weg. Die steile Calandasiten hinunter leicht joggend, da es die Knien weniger belastet als gehend. Die neuen TX4 an den Füssen machen wunderbar mit. Mit leicht zittrigen Knien erreichen wir die Hütte, die wir diesmal gerne für Speis und Trank nutzen. Die Chässchnitten mit den Birnenstückchen sind empfehlenswert! Und beim Bier fällt die Wahl eindeutig aus.
Calanda – ich komme wieder. Aber dann von Vättis aus.
Tourdatum: 25. Juni 2020
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben