Als ich am letzten Sonntag auf der Lüdernalp nach Krokusse für meine Fotografin suchte (fahrend), kam mir die Idee einer Napfüberquerung. „Berner Alpenkranz kombiniert mit Emmentaler Brauchtum“ heisst das Tourkonzept. So ziehe ich heute von Zollbrück zur Lüdernalp, folge dem aussichtsreichen, langen Hügelgrat zum Napf und steige schliesslich ins luzernische Menzberg ab.
Es ist ruhig während der frühmorgendlichen Zugfahrt ins Emmental. Das Corona-Virus hat die Schweiz erfasst – und entschleunigt sie. Kondukteure, Kioskfrauen, Pendler und Schüler, sie alle sind freundlich, aber auf Distanz. Ab Zollbrück sind die neuen Regeln obsolet – ich bin ab jetzt alleine, fast acht Stunden, 29 Kilometer und 1800 Höhenmeter lang.
Die Wanderung beginnt mit etwas Asphalt, aber gleich nach dem malerischen Zollbrücker Ortsteil Rieden folgen Feldwege. Der Aufstieg zur Lüdernalp ist wenig steil, langgezogen und einfach (T1/2). So bleibt viel Zeit zum Umherschauen. Der Himmel ist noch bedeckt, also liegt der Fokus auf das Nahe. Das sind schrullige Bäume, steile Matten, einsame Bauernhöfe, bellende Hunde, Bänke mit Schnitzereien. Fernsicht ist vorläufig Wunschdenken, nur im flacheren Norden und über dem Jura erspähe ich einen Hauch von blauer Himmel. Hauptsache trocken.
Mit der Höhe kommt das Relief. Das schön ziselierte Voralpen-Potpourri, dem das Napfgebiet die Eleganz, das Zauberhafte verleiht. Auf jedem Gratrücken, auf jedem Vorsprung thront ein stolzer Hof mit seinem Walmdach. Zuoberst der isolierende Heuschober, der über eine Erdschanze oder einen Holzsteg mit dem Heuwagen erreicht wird. Schön!
Nach zwei Stunden erreiche ich die stille Lüdernalp. Ein Bus kommt hier nur sonntags hoch, und die Beiz ist bis im April nur an den Wochenenden offen. Letzten Sonntag spielte eine Pianistin gefühlvoll „Claire de Lune“ und Chopin-Nocturnen, heute ist es ganz still. Bedächtig verschlinge ich mein Sandwich auf der einsamen Terrasse.
Nur folgt das lange Gratsurfen auf der reizvollen Panorama-Route zum Napf – und bald auch der erste Schnee. Von dem hat es auf der Nordseite noch mehr, als ich befürchtet hatte. Das macht aus dem T2 ein T3, vor allem in den steilen Waldpassagen, die zudem etliche Sturmschäden aufweisen. Viel Schnee betrifft vor allem das Nordstück um den Rotchnubel, die Sturmschäden die Steilhänge östlich der Geissgratflue. Da bin ich für einen Moment sogar froh um meine Spikes und die Stöcke (die danach beide für den Rest des Tages im Rucksack bleiben).
Also – etwas mehr aufpassen, aber sonst dankbar geniessen. Die Aussicht, die Ruhe, die Natur. Ab dem oberen Lüsisberg (im Sommer bewirtet) gibt es keine wegtechnischen Herausforderungen mehr – nur noch viele Kilometer und immer wieder kurze Gegensteigungen, die dem Tag eine ganze Menge Höhenmeter bescheren.
Es ist einsam, wunderbar einsam, nur hin und wieder gesellt sich ein Telefonat zu meinem Alleinsein. Und für ganz kurz zwei junge Rehe, die sich deutlich weniger darüber freuen als ich. Ich beneide sie nicht um ihre Scheu, an schönen Sommertagen werden sie sich noch viel mehr verstecken müssen.
Auf dem Hochkänzi betrete ich Luzerner Boden, damit ist auch der Napf nicht mehr weit. Kurz nach dreizehn Uhr erreiche ich den flachen Gipfelgupf mit der schwer in die Jahre gekommenen Herberge. So sah sie schon 1987 aus, als ich als Offiziersaspirant das letzte Mal hier war. Auch die Transportbahn, die mich damals hochbrachte, ist noch da. Ich grinse breit: Undenkbar, dass dies heute noch erlaubt würde. Die Erinnerung wärmt meine Seele im immer noch etwas kalten Wind.
Die Älplermagronen im morbiden Self-Service Restaurant sind erstaunlich fein. Auch der Kafi Lutz schmeckt. Aber als überraschend doch noch der erste Sonnenstrahl der Tages durch die kleine Fenstern nach innen dringt, stehe ich schon wieder draussen.
Der gut zweistündige Abstieg nach Menzberg lässt sich nicht mit dem Rest der Tour vergleichen. Er erfolgt weitgehend über Fahrsträsschen und hat längst nicht den alpinen Charme des Panoramawegs zwischen der Lüdernalp und dem Napf. Also verliere ich mich schnell in meine Gedanken. Prompt verlaufe ich mich und muss ein paar Meter zurücksteigen. Ein guter Grund, über sich selber zu lachen!
Dafür begleiten mich auf den letzten Kilometern nach Menzberg das nun immer bessere Wetter und die Erinnerung an eine bemerkenswerte Begegnung. Dies am Tourende im Kleinod Menzberg, einem schmucken Dorf mit einem eindrücklichen Kirchturm im hintersten Luzernerland. Die Kinder kommen just im Moment meiner Ankunft aus der Schule und erfahren zu ihrem freudigen Erstaunen, dass sie virenbedingt für lange keinen Schulunterricht mehr haben werden.
Tourdatum: 13. März 2020
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Uuu schön und super wiä immer!!