Heute schliesse ich eine wichtige Lücke in meiner 3000er-Sammlung, die schon längst geschlossen sein sollte: Der Basòdino. Weil der Tessiner Prachtsberg mit seinem eindrücklichen Flächengletscher für Zürcher so endlos abgelegen ist, will Gutes Weile haben. Und es folgt ein langes Nachspiel ins Bedretto.
Ich schlafe gut im ehemaligen Arbeiterheim in Robiei. Das zum Albergo umfunktionierte Türmchen ist zwar in die Jahre gekommen, aber die Zimmer sind ganz ok. Eine Dusche gibt es auch, im Unterschied zur nahegelegenen SAC-Hütte. Nur Frühstück wird strikt erst um 7.30 Uhr serviert, das hatte ich nicht einberechnet. Ich blicke schon um 6.00 Uhr sehnsüchtig zum rotbeleuchteten Basòdino-Gletscher, entscheide mich aber, auf den feinen Cappuccino, die Kaloriendosis und das bestellte Lunchpaket zu warten. So laufe ich um 7.45 Uhr eher spät los für die lange Tour.
Ich verlasse das technisierte Robiei (Bahnen, Stromleitungen, Staumauer, Gebäude…) und steige entlang eines Bachs in Richtung Wildnis. Nach einer kurzen Steigung verengt sich das Tälchen, ich schmunzle über einen Felsen, der sich wie eine Fasnachtsmaske präsentiert. Dahinter ist es flacher und schön wie im Bilderbuch: das klare Wasser, die grünen Alpwiesen, die grauen Felsen und das leuchtende Weiss des Basòdino-Gletschers.
Es folgt ein kurzes Auf und Ab über einige Rücken und entlang weiterer Bäche und kleiner Seelein, bis ein blauweisser Wegweiser die Route zum Basòdino anzeigt. Die damit in Aussicht gestellten Markierungen fehlen jedoch, es sind vorwiegend Steinmännchen, die den Pfad zum grossen Gletscher markieren. Bis 2600m geht das gut und eindeutig, danach vermehrfachen sich die gutgemeinten Steinhaufen etwas willkürlich. Die Wegfindung durch den Gletscherschliff braucht Zeit, guten Orientierungssinn und manchmal die Hände. Die Richtung ist jedoch immer klar: nach oben. Im Nebel könnte das heikel sein, doch davon ist an diesem wolkenlosen Morgen keine Rede.
Etwa auf der 2850m-Höhenkurve schnalle ich meine Steigeisen an und betrete den aperen Gletscher. Gletscher sollte man eigentlich nicht alleine begehen, aber dieser komplett spaltenfreie Eispanzer bildet wirklich eine Ausnahme. Weiter oben ist er noch schneebedeckt, ich stapfe zielstrebig auf den Ostgrat mit seinen markanten Felsformationen zu.
Kurz vor Elf blicke ich über die Gratkante nach Süden in die Lombardei und zur Monte Rosa-Gruppe. Nun würden noch rund 180Hm Block- und Schuttgrat zum Gipfel folgen, auf die ich aber aufgrund der fortgeschrittenen Zeit verzichte. Zudem will ich in diesem Gelände auf keinen Fall einen Fuss verstauchen, denn ich bin – trotz des prächtigen August-Sonntags – mutterseelenalleine am Berg unterwegs.
So mache ich es mir auf einem Felstürmchen bequem und geniesse den Basòdino-Ostgrat in vollen Zügen: Wie oft habe ich ihn nicht bewundert aus grosser Ferne! Nun sehe ich alle diese Orte voller Erinnerungen wieder. So die Glarner (Tödi), Tessiner (Pizzo del Sole) und Bündner Gipfel (Adula), meine Freunde rund um den Gotthard (Pizzo Centrale) und am Furkapass (Galenstock), die grossen Berner und Walliser, und und und. Grossartig. Happy man!
Zufrieden mache ich mich auf den Weg ins Tal – und zu nächsten Wandererlebnissen. Das Tagesprogramm ist noch lange nicht fertig, ich will das fehlende Teilstück der Transversale ins Bedrettotal noch schliessen.
So verlasse ich den Pfad der Aufstiegsroute an der Spitzkehre auf ca. 2350m und suche mir einen Weg durch die Felsen und über die Bachläufe zum Piano del Ghiacciaio im Valletta di Fiorina. Damit spare ich nicht nur Höhenmeter, sondern komme auch in den Genuss einer grossartigen, von Wasser, Sumpf und Sand durchgezogenen und mit Blumen (Wollgras) geschmückten Szenerie. Der perfekte Picknickplatz! Und nicht nur das – auch ein guter Refillplatz für die bereits leeren Wasserflaschen, denn der Wind und die pralle Sonne fordern heute ihren Tribut.
Etwas oberhalb der Ebene treffe ich wieder auf den rotweiss markierten Wanderweg vom frühen Morgen, der mich zur Bocchetta di Val Maggia führen soll, dem Übergang nach Italien. Der Pfad führt stellenweise über Blöcke, die das Marschtempo drastisch verlangsamen. Das friedliche Gurgeln des Bachs sorgt danebst für angenehme Ablenkung.
Nach den Blöcken folgt eine letzte, giftige Steigung über die östliche Talflanke zum Pass, der mich ziemlich ins Schnaufen bringt. Ich halte ein paar Mal an, um die Puls- und Atemfrequenz zu senken. Ein kleiner Schmelzwassersee wird gerne als Ausrede für eine Fotosession mit einem Blick zurück zum Basòdino genutzt.
Auf der Grenze ändert die Markierung – Italien lässt grüssen. Die grossen Seen im Val Toggia lachen mich an. Ich stelle mich freudig darauf ein, bald mein T-Shirt über den Kopf zu streifen um die ersten Salzschichten des Tages abzuwaschen. Ein angeregtes Gespräch mit einem Urner Vater-Tochter-Gespann verkürzt derweilen den schuttigen Abstieg, und wenig später quirlt schon das kühle Nass über meine aufgeheizten Poren.
Der Rest ist eher Fleiss als Preis. Der San Giacomo-Pass gibt nicht viel her, und auf dem Höhenweg zur Corno-Gries-Hütte spüre ich nur noch die Wärme, den Durst und die müden Beine. Als ich um 16.02 auf der Nufenerstrasse (Cruina) eintreffe – fünf Minuten vor der Abfahrt des Postautos – bin ich dehydriert und müde. Aber glücklich. Das Bedretto kommt zwar emotional etwas zu kurz (es wäre ja so schön!), weil die Eindrücke des Tages die Gehirnspeicher schon gesättigt haben. Aber ich komme ja wieder zurück!
Tourdatum: 25. August 2019
Interaktiver Kartenausschnitt mit Höhenprofil und Zeitangaben
Danke für diesen schönen Beitrag, Edwin. Ich habe diese tolle Gegend auch schon durchwandert auf fast gleicher Route, ebenfalls mit Übernachtung im Turm – wirklich ein Erlebnis. Auf dem Basòdino stand ich hingegen noch nie, Du hast mich soeben an diese schöne Pendenz erinnert.
Lieber Gabriel – Du müsstest das eigentlich mit den Ski machen – eine Traumabfahrt. Aber die Gegend ist etwas ganz besonders, die Tälchen vor dem Massiv sind wunderschön. Aber jetzt geht’s zuerst wieder nach Turtmann morgen…