Nach einer nasskalten Woche wollten wir eigentlich ins Tessin ausweichen. Aber ein Blick auf die Pilatus Webcam bestätigt mir, dass nur wenig Schnee gefallen ist. So lassen wir uns ins Grossschlierental chauffieren und ziehen von Horweli durch die herbstliche Taiga auf die Pilatuskette. Dort nehmen wir auf dem aussichts- und erlebnisreichen Gratweg zur Bergstation das Mittaggüpfi, das Widderfeld und das Tomlishorn mit. Eine Prachtstour durch ein Gebiet, das heute durch den Schneeflaum eine einzigartige, fast mystische Patina bekommt.
Das Strässlein von Alpnach nach Horweli will und will nicht aufhören. Aber so spart man fast 1000 Hm. Das Taxi lässt uns bei der Fahrverbotstafel (Pt. 1342, siehe Kartenausschnitt) aussteigen. Es ist frisch, der Hochnebel liegt zwar unter uns, aber eine dünne Wolkenschicht hält die Wärme noch fern. Dafür ist der Blick auf die Obwalder Alpenkette umwerfend.
Wir ziehen los durch den Wald und wundern uns, dass trotz Karteneinzeichnung zunächst kein Pfad zu sehen ist. Durch Heidelbeersträuche streifend, Sumpflöcher ausweichend und wenigen gelben Markierungen folgend erreichen wir die Alp Meien. Hier erwartet uns ein breiter Kiesweg, der fortan ein gemütliches Nebeneinander ermöglicht. Wir blicken ins breite, einsame Grossschlierental und versuchen uns zu erinnern, wo es solche Täler in der Schweiz sonst noch gibt. Mir kommen der Jura – und Schweden – in den Sinn.
Über die Chrüzliegg überschreiten wir die letzten Ausläufer des Schlierengrats und erreichen bald die Alp Allgäu. Vor lauter Schwatzen verpassen wir die Abzweigung und merken den Fehler erst beim Gehöft Gschwänt. Wir steigen belustigt zurück und erreichen nun ein Gebiet, das „Steinstössi“ genannt wird. Der offene, leicht verschneite Wald ist mit Hochmoor durchsetzt, die roten Früchte einzelner Vogelbeerbäume setzen schöne Akzente. Und die Bauern haben hier zu unserem Erstaunen einen perfekten Steinweg angelegt, der es mit jedem historischen Römersaumpfad aufnehmen kann. Wir sind begeistert, jetzt scheint auch der Name Steinstössi erklärt.
Auf der Alp Wangen zweigen wir auf den Pfad zur Tripolihütte ab. So steigen wir auf den Wängengrat, der einen ersten, weiten Blick übers Entlebuch ins Mittelland erlaubt. Jetzt kann nach gut zwei Stunden Taiga die Grattour beginnen! Die Tripolihütte ist verlassen, nur am Sonntag wird hier gewirtet. Uns soll’s recht sein, es ist wunderbar ruhig, und jetzt kommt auch die Sonne durch. Der steile Aufstieg zum Mittaggüpfi wird durch Drahtseile und Treppenstufen wesentlich vereinfacht, angesichts des Schnees kein Luxus. Auf dem Grat erleben wir das eindrückliche Phänomen „winterliche Nordseite, besonnte Südseite“ – das ergibt laufend reizvolle Fotosujets. Das Mittaggüpfi begrüsst uns hingegen mit einem eisigen Wind, dem wir uns nur kurz aussetzen.
Durch den nun schnell schmelzenden Schneeflaum hüpfend machen wir uns gleich auf dem Weg hinunter zum Sattel am Fuss des Widderfelds. Und siehe da – es ist hier so warm, dass wir unseren Weg über den breiten Gratrücken mit seiner einzigartigen Weitsicht im T-Shirt fortsetzen. Erst kurz vor dem Gipfel kommt der kalte Wind wieder – und die Sommerepisode findet ein abruptes, für heute definitives Ende.
Die östlichen Wände des Widderfelds werden nördlich umgangen, und so bereiten wir uns auf eine winterliche Episode vor – mit Mütze und Handschuhen. Es gibt hier einige drahtseilgesicherte Passagen, die nicht ganz einfach zu passieren sind (Kletterstufe I), und auch ohne Schnee absolute Trittsicherheit verlangen. Es ist echt kalt und ich bin froh, dass wir bald wieder an die Sonne zurückkehren. Ein Rudel Steinböcke räkelt sich hier bereits. Die Tiere müssen wohl denken, was das für Idioten sind, die freiwillig durch den Winter zotteln.
Der Pfad ist jetzt ziemlich alpin geworden, die Fortsetzung zum Tomlishorn verlangt viel Trittsicherheit. Der scharfe Grat ist eindrücklich, seine Begehung Erlebnis und Genuss zugleich. Dann folgt die letzte Steigung, Reto wirft den Turbo an und bewältigt die letzten hundert Höhenmeter des Tages in Rekordzeit. Ich komme gemächlicher nach, ich kann mich einfach kaum satt sehen.
Auf dem Tomlishorn pausieren wir und teilen Sandwich und Käse mit den gefrässigen Dohlen. Sie sind verwöhnt, eines dieser Exemplare will per se nur Retos Käse. Meine Brotkümmel werden ignoriert. Wir geniessen nochmals eingehend die Fernsicht vom Säntis zum Wildhorn und spuren dann auf die Autobahn ein, die uns in 20 Minuten zum Eventzentrum Pilatus führt. Menschenmassen ohne Ende – wir schauen uns nur kurz an, springen in die Bahn und gönnen uns das verdiente Schlussbier im Café an der Talstation.
Tourdatum: 22. Oktober 2016
Lieber Edwin
Mir ist leider erst später in den Sinn gekommen, woher du mir bekannt vorkamst. Wir haben die Dohlen fotografiert, die ihr gefüttert habt.
Ein lieber Gruss
Daniel (Simone’s „Göttibueb“)
PS: Sehr schöne Homepage!
Der mit dem grünen Streifen auf dem Ärmel? Lg und bis bald einmal wieder! Edwin