Heute sind wir im kleinsten Land der Welt unterwegs – zumindest war es dies bis anno 1817. Dann wurde die Freie Republik Gersau von der Tagsatzung in Bern gewaltsam dem Kanton Schwyz einverleibt und ist seither nur noch ein Bezirk. Gewusst? Wir wandern von der «Riviera des Vierwaldstättersees» auf den höchsten Punkt der Gemeinde, die Rigi Scheidegg. Von Palmen und Edelkastanien in knapp drei Stunden direttisimma in den Schnee – wo gibt es das schon im Mai?
Arno und ich steigen aus dem Bus und begutachten das pittoreske Dörfchen am See. Direkt am Wasser steht ein fröhliches Mädchen aus Kupfer und schwärmt uns von ihrer Heimat vor (Inschrift auf der Säule lesen!). Wir können es ihr nachfühlen, und freuen uns über den blauen Himmel, das friedliche Gewässer und die messerscharfe Sicht auf die frisch verschneiten Berge. Die schöne Stimmung lädt zur Einkehr auf einer der schönen Terrassen ein, doch die über 1200 Meter Steigung rufen, und so setzen wir uns in Bewegung.
Gersau bietet viel Sehenswertes, so bleiben wir kurz stehen bei der Infotafel der einzigen Seidenspinnerei (Swiss Mountain Silk), die es in der Schweiz noch gibt. 1730 wurde sie von Schwyzern gegründet, weil sie es in ihrem Heimatort nicht durften…
Nun folgen wir dem Bach, der den breiten Talboden geformt und letztmals 1984 für eine gewaltige Überschwemmung gesorgt hat. Heute ist er gezähmt, ein riesiges Auffangbecken im Wald oberhalb des Dorfes lässt die Bewohner ruhig schlafen. Wir sind alleine unterwegs und riechen den frühlingsfrischen Wald, der Pfad gewinnt schnell an Höhe. Der Aufstieg ist abwechslungsreich, mal führt er über Schafweiden, mal durch kleine Waldstücke, kurz auch über den Asphaltweg, der zum Gätterlipass und der Talstation der Burggeistbahn führt.
Je höher wir steigen, desto mehr gewinnt das Gelände an Kontur. Es wird klar, dass der Gersauerstock auf der einen und die Rigi Hochfluh auf der anderen Talseite für ein windgeschütztes, mildes Klima sorgen. Gleichzeitig wird immer mehr Urner Gebirge sichtbar und die Fernsicht immer reizvoller. Bald sehen wir über Schwalmis und Oberbauenstock hinweg auf den Uri Rotstock und seine Kumpanen, wenig später gesellen sich Bristen und Windgällen dazu, dann die grossen Berner. Gersau wird derweilen immer kleiner.
Wir vergnügen uns bestens, auch wenn der Pfad wirklich ziemlich steil ist. Auf der Höhe des Gersauerstocks nähern wir uns den Schneeresten der letzten Kaltfront, die die Gipfelregion des Rigimassivs nochmals richtig eingewintert hat. Leider macht sich nun auch die Bise markant bemerkbar, wir kommen nicht darum herum unsere Anoraks anzuziehen. Was für ein Unterschied zum sommerlichen Gersau!
Wir durchwandern die verlassene Ferienhaus-Siedlung auf dem Burggeist und stapfen die letzten Höhenmeter durch den Pflotsch zur Scheidegg hoch. Die familiengeführte Beiz ist ab heute wieder offen, und wir werden gleich mit einem kleinen Vatertaggeschenk begrüsst (Superidee – bitte weitersagen!). Das Rigi-Bier und die Älplerrösti sind gewohnt fein, auch wenn die Abläufe am ersten Tag der neuen Saison noch nicht perfekt sind.
Frisch gestärkt machen wir uns danach an die Schneetour über das alte Bahntrassee zur Rigi First. Richtig winterlich ist es jetzt, auch wenn gut gepfadet. Ohne die körperliche Anstrengung des Aufstiegs geniessen wir jetzt die perfekte Fernsicht und das Prachtpanorama in vollen Zügen. Auch die tiefblauen Seen tragen dazu bei, dass wir wie auf Wolken laufen. Nur den Dossen lassen wir aus, der ist uns jetzt einfach zu nass. Dafür bleibt uns umso mehr Zeit, auf einem der Bänklein des Felsenwegs, an der warmen Sonne und windgeschützt, nochmals alle Gipfel zu bestaunen und uns gegenseitig darin zu bestätigen, dass es nichts Schöneres gibt als heute hier zu sein.
Knappe zwanzig Minuten später erwischen wir bei First-Wölfertschen das historische Züglein nach Arth-Goldau. Was für ein herrlicher Tag – es lebe die Republik Gersau!
Tourdatum: 5. Mai 2016
Hi Edwin, so cool. Die Rigi befahre ich jeweils mit dem Bike und geniesse nicht nur die Auffahrt sondern auch die Aussicht und sodann die Abfahrt. Weiterhin alles Gute und auf dann! Heini