Die Rigi Hochflue ist der alpinste Gipfel dieses Voralpenmassivs. Er wird von anspruchsvollen, zeitweise ausgesetzten Routen erschlossen, die schöne Kraxelerlebnisse bieten, aber absolute Trittsicherheit erfordern. Wir besteigen den markanten Berg über den Ostgrat in dichtem Nebel, zuoberst erwartet uns ein perfektes Sonnenbad.
Das kleine Urmiberg-Bähnchen hievt uns kurz vor Mittag innert Minuten von Brunnen fast 700m hoch. Dichter Nebel umhüllt uns, wir beschliessen im kleinen Beizli der Bergstation etwas zu essen und hoffen auf baldige Besserung. Der Wirt spricht von Kartoffelsalat und Bauernschinken, da sagen wir nicht Nein. Er bringt unsere Getränke und fängt dann an, Kartoffeln zu schälen. Ich schaue Tom an, und wir denken dassselbe: Das wird ja wohl nicht für uns sein. Wenig später fragen wir höflich nach und werden eines Besseren belehrt: da entsteht unser Mittagessen ganz frisch. Oje – das heisst warten. Was dann aber serviert wird ist derart fein, dass die Wartezeit sofort verziehen wird!
Mit vollen Mägen marschieren wir los. Sechzig Höhenmeter weiter oben erreichen wir den breiten Gratrücken und fragen uns, warum die Bahn nicht ganz hier hoch gezogen wurde. Es ist schön hier – auch wenn wir fast nichts sehen. Der Wanderweg führt zur Alp Egg, wo wir auf die blauweiss markierte Route zur Hochflue abzweigen. Der schmale Pfad ist nass und glitschig, ein Schild warnt vor Gefahren. Wir zählen darauf, dass die Sonne nun bald kommen muss und arbeiten uns, über Baumwurzeln und Felsbrocken steigend, über den zerfurchteten Ostgrat der Hochflue nach oben.
Die Kraxelpassagen häufen sich, die Abgründe sehen wir nicht, so dicht ist der Nebel. Fast etwas unheimlich wirkt die wilde Gratlandschaft. Wenn es Kobolde gäbe würden sie sich hier wohl fühlen. Zum Glück ist die Wegspur immer gut sichtbar, auch wenn die Markierungen schon stark verblasst sind. Die mystische Stimmung in diesem pittoresken Umfeld ist ein Erlebnis für sich. Wenn nur nicht alles so nass wäre! Wir sind vorsichtig und kommen nur langsam vorwärts. Weiter oben liegt sogar noch Restschnee, und das Gestein ist stellenweise mit dünnem Eis überzogen. Nach einer heftigen, drahtseilgesicherten Kraxelpassage (II) durch ein Felskamin begrüsst uns dann plötzlich die Sonne doch noch. Sanft streicht sie durch unser klitschnasses Haar und setzt umgehend Glückshormone in grossen Mengen frei.
Wir stehen nun auf dem Gipfelgrat und schauen fasziniert zu, wie sich die Nordseite der Hochflue mit der Wolkensuppe plagt, während sich die Südseite im prächtigsten Sonnenlicht räkelt. Jenseits des Wolkenmeers lächeln uns die winterlichen Alpenriesen um die Wette zu: Glärnisch, Bristen, Uri Rotstock, weiter westlich streckt der Pilatus seinen Kopf aus dem trüben Brei. Wir erreichen den Gipfel und saugen die Sonne jetzt richtig auf, wie herrlich sie doch wärmt! Gleichzeitig lauschen wir die Geräusche, die aus dem grauen Nichts zu uns dringen – Gotthardzüge und Autos am Lauerzersee, Baulärm aus Gersau. Bald streichen neue Wolkenfetzen um den Gipfel und verdecken die Sicht, wenig später ist der Spuk wieder vorbei. Weltklasse.
Aufgrund der Nässe und des Eises beschliessen wir, über die West- anstatt über die Nordseite abzusteigen, die übrigens mit einer 25 Meter langen Leiter beginnt… Der kleine Umweg lohnt sich, denn der steilste Teil des Abstiegs erfolgt nun kettengesichert über trockene Felsen und Böden. Doch bald hat uns der Nebel wieder, und wir fügen uns dem Schicksal. Über sumpfige Wege streichen wir durch den Herbstwald. Kurzer Trost bietet ein reichhaltiger Chrüterkafi im Gätterlipass-Beizli, wo die einheimischen Bauern die Wahlresultate des letzten Wochenendes feiern.
Über breite Wanderwege marschieren wir zügig zur Urmibergbahn zurück, die wir kurz vor Fünf erreichen. Die fröhliche Wirtin kommt aus der Beiz, um uns ins Tal hinabgleiten zu lassen. Ein kurzer Schwatz muss noch sein, und so lernen wir, dass das Paar hier erst seit wenigen Tagen pachtet. Mitte November solls richtig losgehen mit Fonduespezialitäten und anderen Köstlichkeiten (www.urmiberg.ch). Wenn das so gut wird wie der Kartoffelsalat, muss der Bahnbesitzer die Vierergondel wohl bald mit einer Grösseren ersetzen!
Tourdatum: 21. Oktober 2015
WOW WOW WOW, diese gigantisch schönen Bilder mit dem ausführlichen Bericht am frühen Morgen, hier Nähe Köln, traumhaft. Ich sag es ja immer wieder ich lebe im verkehrtem Gebiet!
Vielen Dank, mein Tag kann jetzt voller Elan starten ;o)
Herzliche Grüsse
Marion
WOW … Meraviglioso!
Gestern auch gemacht, herrliche Kraxlerei beim Aufstieg, Abstieg über Nordgrat. Danke für die Inspiration, immer wieder toll deine Berichte und Fotos 🙂