Die Churfirsten sind eine Wundertüte. Vom Toggenburg aus sind die formschönen Gipfel alle einfach zu erklimmen, vom Walensee erscheinen sie wie eine monströse Wand. Mitten drin findet sich ein Übergang, der ohne Kletterkünste zu erreichen ist. Am Bootsteg in Quinten beginnend sind dazu 1650m zu überwinden. Die Anstrengungen werden belohnt mit einzigartigen Tiefblicken auf den blaugrünen Walensee.
Ich bin spät dran. Die kurzfristig anberaumte Sitzung frühmorgens war zu wichtig. Der Wandertag soll trotzdem stattfinden. Also düse ich um halb Zehn von Zürich los nach Murg, und schaffe gerade noch das Fährschiff nach Quinten. Das Personal des Seehus ist um Elf beim z’Mittag, rüstet mich dennoch netterweise mit einem riesigen Schinken-Sandwich und zwei grossen Wasserflaschen aus. Es ist ziemlich warm, und Bäche gibt es unterwegs nicht. Es wird sich erweisen, dass sich das Zusatzgewicht im Rucksack auszahlt.
Bald lasse ich den friedlichen, autofreien Weiler hinter mir und freue mich über den kühlenden Schatten des dichten Frühlingswaldes am Fuss der Churfirsten. Der Weg steigt steil an, sehr steil. Die ersten 900 Höhenmeter lassen keine Erholungsphasen zu. Auf über 1300m erreiche ich die Alp Laubegg, die von einem winzigen, verwitterten Transportbähnchen aus Holz erschlossen wird. Ich pausiere und bestaune die einfache Mechanik – gleichzeitig wechselt der Rest der ersten Wasserflasche den Standort.
Nur folgt ein Genussteil. Der Pfad folgt leicht steigend durch offenes Gelände dem Hang. Die Sicht auf den See und die dahinterliegenden Berge ist umwerfend. Mehrmals müssen Lawinenkegel überwunden werden, aber der Schnee ist weich, kein Problem. Bei Hag (Pt 1540), finde ich den ultimativen Picknickplatz: Die saftige Blumenwiese trohnt wie eine Kanzel hoch über dem See.
Frisch gestärkt setze ich die Tour fort. Zunächst verliere ich ein paar kostbare Höhenmeter, dann zweigt die Alpin-Route zum Gocht ab (Sattel, Pt. 1521). Blau-weiss-blaue Markierungen weisen nun den Weg, einen Pfad gibt es nur ansatzweise. Ab hier gilt höchste Aufmerksamkeit, nicht nur der teilweise ausgesetzten Wegführung, sondern auch dem Steinschlag. Die Route führt nun wirklich über „Stock und Stein“. Richtig anstrengend wird es, wenn die Route direkt der Falllinie entlang zum Fuss der Wand führt. Meine Beine werden schwer, aber die Szenerie direkt unter den mächtigen Felswänden ist so packend, dass das Leiden easy mit etwas Zähnebeissen weggesteckt wird. Es folgen einige Traversen, die man lieber nicht bei Nässe passiert, dann stehe ich endlich beim Nadelöhr – am Eingang des Couloirs, an dessen oberen Rand das Toggenburg auf mich wartet.
Hier warten nun aber zunächst zwei Schwierigkeiten auf mich: Erstens ein Schneefeld, das noch fast die ganze Ideallinie des Aufstiegs bedeckt – und zweitens ein renitenter Gämsbock, der mich von hoch oben herab mit einem scharfen Pfiff warnt, dass ich gefälligst verschwinden soll. Eigentlich hätte ich hier die Steigeisen angezogen, aber als der Junge dort oben beginnt, mit seinen Hufen absichtlich Steine zu lösen, lasse ich von dem Plan ab. Zu ausgesetzt und steil ist das Schneefeld, um fallenden Steinen ausweichen zu können. Ich entscheide mich, vorsichtig den Felsen entlang hochzukraxeln. Der Gämsbock zieht sich nach mehreren erzieherischen Zurufen und Steinwürfen auch meinerseits schliesslich zurück.
Ich kraxle hoch und erreiche schliesslich die Wasserscheide. In dem Moment springt der Gämsbock, gefolgt von Frau und Kind, von der Seite in das Couloir hinunter. Nun wird mir klar, warum er so aggressiv war…ich hatte ihnen offensichtlich den einzigen Durchgang versperrt.
Auf dem Gocht (was für ein unmöglicher Name für so einen eindrücklichen Ort!) geniesse ich nochmals den gewaltigen Tiefblick auf den See – und wende mich dann fasziniert dem noch winterlichen Charme der flacheren Nordseite zu. Unzählige Felsbrocken schauen bizarr aus dem Schnee hervor, dahinter grüsst der Säntis, bald von einem Gewitter umhüllt.
Das ferne Donnern und die fortgeschrittene Zeit mahnen, den Abstieg nicht in die Länge zu ziehen. Ich surfe knieschonend über die Schneefelder bis zum Toggenburger Höhenweg hinunter. Hier entscheide ich mich für „Arvenbühl“ anstatt für die nähere Starkenbach-Bahn – auch wenn dafür noch eine giftige Gegensteigung zu überwinden ist. Aber von Amden werde ich schneller wieder in Murg beim Auto zurück sein als von Toggenburgschen Starkenbach…
Umgeben von Frühlingsblumen in allen Farben erreiche ich schliesslich die Alp Looch und treffe hier die ersten Menschen seit Quinten. Der gemütliche Besen-Beizer meint, seine Beiz sei noch zu, er sei nur zufällig hier um zu renovieren. Mein durstiger Blick, die zweite Wasserflasche ist schon seit dem Gocht leer, löst aber offensichtlich Mitgefühl aus. So steht wenig später eine Flasche mit herrlich kaltem Bier vor mir.
Als sich auch die Gewitterwolken wieder verziehen, und die Sonne nochmals richtig grüsst, könnte die Welt nicht noch mehr in Ordnung sein. Müde, aber zufrieden, nehme ich schliesslich die letzten 40 Minuten über den Fahrweg nach Arvenbühl unter die Füsse.
Fazit: Eine grossartige, anstrengende Tour! Beim nächsten Mal werde ich in Walenstadtberg beginnen und damit 700 Höhenmeter sparen. Die 1750Hm von Quinten nach Arvenbühl brauchen viel Kraft, und im Schlussaufstieg zum Gocht ist man froh um Reserven.
Tourdatum: 13. Mai 2015
Super Website! eindrückliche Wanderungen. Great! Macvt Lust auf mehr.
Danke Simone, das motiviert und verpflichtet zugleich…. Herzlich, Edwin
Lieber Edwin, wir haben die Wanderung heute zu dritt von Walenstadtberg nach Arvenbühl gemacht. Unglaublich schön! Danke für deine Beschreibung. Zwei Steinböcke haben wir ebenfalls von nahe gesehen, allerdings tot auf den Schultern von zwei Jägern… Ein weiterer hat uns vom Glattchamm aus eine Weile beobachtet.
Hallo Edwin.
Was meinst du, kann ich die Gocht auch mit Hund absolvieren? Liesengrat und Altmann schafft sie prima.
Grüessli Carmen
Liebe Carmen
Das schafft er sicher! Aber warte bitte, bis keine Schnee mehr liegt. Ab Juni geht das bestens.
HG, Edwin