Früher waren Wanderungen zu Gipfeln mit Bahnen nicht mein Ding. Ich fand die Leistung nicht gebührend „gewürdigt‘, wenn Zahlende mit Sandalen an den Füssen dasselbe Panorama geniessen durften wie Arbeitende. Das habe ich längst überwunden. Der Weg ist das Ziel – und eine knieschonende Talfahrt ermöglicht einen längeren Aufstieg, wie auf dieser Tour von Sulwald auf das Schilthorn.
Wir nehmen das winzige Seilbähnli von Isenfluh nach Sulwald und können dadurch gleich an der Sonne beginnen. Der erste Morgennebel dieses Herbstes deckt das Lauterbrunnen Tal noch zu. Motiviert durch das romantische Tête-à-tête mit Eiger, Mönch und Jungfrau kurven wir durch den lichten Wald nach Suls.
Sulsseeli und Lobhornhütte lassen wir heute links liegen (geografisch rechts), obwohl sich die Backkünste und die Freundlichkeit der Hüttenwartin bis hin nach Zürich herumgesprochen haben. Dafür ist der Tag noch zu jung und das Ziel zu weit weg. Im schattigen Aufstieg durch ein namenloses Tälchen zur Sousegg begegnen wir den ersten Vorboten des Winters: Rauhreif, gefrorene Wasserläufe und vereiste Pfützen.
Auf der Sousegg finden wir die Sonne, die uns nicht mehr verlassen wird. Über den Schwarzen Schopf steigend nähern wir uns den Lobhörnern. Diese faszinierenden fünf Finger sind der Eyecatcher dieses Gebiets schlechthin. Wir verlassen den Pfad zum Schwalmere, der um die Lobhörner herum führt. Ich denke derweilen zurück an dessen Besteigung, mindestens 25 Jahre sind das her. Meine Erinnerungen schweifen noch weiter zurück: als Junge war ich jährlich hier, für meinen Vater ging fast nichts über das wilde Soustal und seine Umgebung. Schmunzelnd erinnere ich mich, wie ein Einheimischer ihm riet, uns doch richtige Bergschuhe zu kaufen. Ich schmecke jetzt noch den mit Rotwein angereicherten Bergtee, mit dem der Bergler uns unerfahrene Flachländer stärken wollte.
Wir suchen uns einen höhenmetersparenden Weg durch die Hogant, der uns zum Chilchfluepass führen soll. Das Grasgelände wird steiniger, bald erreichen wir das einsame Hochplateau und durchschreiten eine dieser hochalpinen Mondlandschaften, die ich so liebe. Wunderbar läuft es sich hier im sanften Auf und Ab, über uns kreisen ein paar Dohlen, unser Blick schweift in die Ferne bis zum Titlis. Die weglose, zuweilen schwach blau-weiss markierte Trekkingroute führt uns entlang der Ostwand des Drättehorns zur Chienegg, wo der Blick auf den letzten, schwierigen Teil der Tour frei wird.
Auf einem grossen Stein ruhend studieren wir die frisch verschneite Nordflanke des Schilthorn. Wir suchen eine Route, die uns über die steile Schutthalde auf den Sattel zwischen Schilthorn und Chilchflue führt. Es wird wohl kein einfaches Unterfangen werden, wir zögern ziemlich lange bis wir uns ein Herz fassen und den Anstieg in Angriff nehmen (T5). Alternativ hätte ein schöner Weg das Soustal hinunter zur Grütschalpbahn geführt (T3).
Unser Vorhaben wird noch dadurch erschwert, dass Walter ohne Stöcke unterwegs ist. Mit je einem Stock versuchen wir unser Gleichgewicht zu halten und das ständige Zurückrutschen zu minimieren. Die ersten Meter im Steilhang fühlen sich an wie Laufen in Haferbrei. Weiter oben ist der Schutt unter dem Schnee dann festgefroren, womit sich allerdings auch die Gefahr des Ausrutschens erhöht. Mit hohem Puls tasten wir uns hoch. Doch der Krampf lohnt sich – auf dem Sattel angekommen werden wir überwältigt von der Aussicht auf die hohen Dreitausender des Lauterbrunnen, Kien- und Kandertals.
Um uns herum strecken dünne Steinplatten, wie Soldaten in Achtungstellung, ihre Hälse aus dem Schnee, ein bizarrer Anblick. Auf der sonnigen Seite des Grats lassen sich die letzten Höhenmeter zum Schilthorn gut bewältigen. Bald erreichen wir den mit Stahlseilen gut gesicherten Pfad, der von der Rotstockhütte kommend zum Gipfel führt.
Im überfüllten Drehrestaurant lassen wir es uns gutgehen. Wir verschlingen eine grosse Portion „James Bond-Taglierini“, wobei wir bis heute nicht wissen, was 007 dazu beigetragen hat. Gut waren sie allemal. Lange bleiben wir nicht. Der Kontrast des Trubels ist uns nach diesem herrlichen, eindrucksvollen Aufstieg einfach zu gross.
In Mürren verlassen wir die Luftseilbahn und wandern durch das Dorf zur Grütschalpbahn. Auf einer kleinen Terrasse finden wir die Ruhe wieder und widmen uns einem grossen Stück Aprikosenkuchen und einem guten Bergkafi. Dann verabschieden wir uns dankbar von Eiger, Mönch und Jungfrau, die im warmen Herbstlicht einfach zum Verlieben aussehen.
Tourdatum: 23. September 2014
Hallo Edwin
Habe die Tour auf Wanderland gesehen – eine ziemlich happige Sache. Aber die Lobhörner – genial. Gruss Jürg
Lieber Jürg
Lass den wirklich anspruchsvollen Schlussaufstieg weg und steige vom Chilchfluepass ab nach Grütschalp. Dann bleibt alles „sicher“ – eine absolute Genusstour. Nur die Sicht muss gut sein, sonst findest Du den Weg nicht von den Lobhörnern zum Chilchfluepass.
Herzlicher Gruss, Edwin
Hallo Edwin, super dein Bericht. Hatte die Tour schon oft angeschaut. Habe am Samstag 27.05.2017 mit zwei meiner Huskys den Angriff gewagt. Bin dann aber zu fest links auf den Grat gehalten (ich stieg direkt durch das Soustal auf) und zuoberst war trotz Steigeisen und Pickel auch der Hunde wegen kein Durchkommen, so stieg ich wieder ins Tal. Der Schnee war
zu tief und trotz Schneeschuhen war es ein Murks. Meine Frage: Ist das oberste Teilstück mit Drahtseilen gesichert für Hunde gangbar? Ich möchte es nochmals bei besseren Verhältnissen probieren. Merci und liebe Grüsse Thomas
Lieber Thomas
Ja, Du musst wirklich rechts halten und dann die Erhebung südlich umgehen. Dann trifft Du auf den Wanderweg, der von Süden hochkommt. Der ist auf dem Grat dann wirklich sehr gut mit Stahlseilen gesichert. Für die Huskies dürfte das dann auch kein Problem sein.
Herzlich, Edwin
Lieber Erwin
Wie lange seid ihr unterwegs gewesen?
Lieber Jörg
Wir haben rund 5 Stunden inkl. ca, 30′ Pause für die Tour gebraucht
BG, Edwin