Der Hausstock (3158) ist eine dieser Glarner Schönheiten, auf deren Besteigung ich mich seit Jahren freue. Es wollte aber bisher einfach nicht gelingen. Schon vor einem Jahr musste ich schweren Herzens auf seinem Nachbargipfel umdrehen, weil Routensuche und Neuschnee zu viel Zeit und Kraft gekostet hatten. Dabei hätte der Ruchi alle Ehre verdient, die gebotene Aussicht ist nahezu identisch. Aber eben – Ruchi ist nicht Schneewittchen. Und Schneewittchen muss weiterhin auf mich warten.
Heute ziehe ich gemeinsam mit Luca und Walter bei besten Wetteraussichten los. Der Himmel ist stahlblau, als wir in den Zigerschlitz einbiegen. Doch schon an der Talstation der Werksbahn im Tierfed ziehen erste Wolken auf – die Bise treibt ihr Unwesen, und das ausgerechnet hier!
Die Tour beginnt mit dem sogenannten Chalchtrittli. Was früher ein besserer Schafpfad war, ist heute ein kunstvoll ausgebauter, mit zahlreichen Ketten gesicherter Weg. Etwas ausgesetzt, aber aufgrund des luxuriösen Ausbaus ungefährlich. Der neue Weg ist ein Nebenprodukt der Bauarbeiten am Milliardenprojekt „Pumpspeicherwerk Limmernsee/Muttsee“. Nach anderthalbstündigem Steigen erreichen wir die Muttsee-Ebene mit ihrer gewaltigen Baustelle. Schon gewöhnungsbedürftig, auf fast 2500m ü M. Bagger, Betonmischer, behelmte Arbeiter und ein Barackendorf anzutreffen. Die nette Muttseehütte will gar nicht mehr so richtig in die Gegend passen. Doch Ende 2015 soll der Spuk vorbei sein.
Wir verlassen den Wanderweg und folgen den Wegspuren am See in Richtung Ruchi. Das Gelände gleicht einer friedlichen Mondlandschaft, umrahmt von markanten Felszacken und verziert mit kümmerlichen Blümchen. Wir versuchen die hässliche Baustelle zu ignorieren. Es macht jetzt richtig zu, aber die Wolkendecke ist zum Glück hoch genug. Ich ärgere mich – so wird der Neuschnee nicht schmelzen, der uns jetzt begrüsst. Ich ahne, dass die Begehung des stark ausgesetzten Drahtseilfurggelis zwischen Ruchi und Hausstock zu gefährlich sein wird … und Schneewittchen wieder warten muss. Meinen Kumpanen will ich die Freude noch nicht verderben, so steigen wir in die steilen Schutthalden der Aufstiegsroute ein. Immerhin müssen wir den Weg nicht mehr suchen, das hat mich vor einem Jahr viel Schweiss und mindestens eine halbe Stunde Zeitverlust eingebrockt.
Die Flanke ist echt steil, und der Schnee unter den Füssen ist nicht besonders einladend. Ich beginne zu zweifeln, ob das ohne Steigeisen noch vernünftig ist, insbesondere weil wir ja hier wieder runter müssen. Aber wir erreichen den Grat problemlos, auch kleine „Abstiegtests“ verlaufen gut, so dass sich meine Sorgen für den Rückweg verflüchtigen. Walter und Luca realisieren jetzt auch, dass der Ruchi wohl das Tagesziel sein wird.
Die Bise bläst erbarmungslos. Kappe und Handschuhe sind ein Segen – gleichzeitig sehen wir über dem Mittelland die Sonne scheinen! Die letzten Höhenmeter über den langen Grat sind geschafft, wir sind froh, zumindest diesen einen Gipfel erreicht zu haben. Derweilen verschwindet der Hausstock in den Wolken. Ich erkläre meinen Bergfreunden, was man hier oben alles sehen würde… Immerhin sehen wir gut auf die monumentale Baustelle hinunter.
Noch einer kurzen Gipfelpause machen wir uns an den Abstieg. Das geht schnell durch den Schnee, auch wenn grosse Vorsicht angebracht ist. Der Magen knurrt, ich meine schon die Röstipfanne der Muttseehütte zu riechen. Dort machen wir eine gute Stunde später die verschobene Mittagspause. Der heisse Tee, der warme Food und die gute Stimmung zu Dritt siegen bald über den Ärger des unerwartet von der Bise verwehten Tages.
Aber siehe da, auf dem Weg zurück bei der Bergstation verziehen sich die Wolken. Bald scheint die Sonne wieder. Als wolle mir Schneewittchen sagen: „Aller guten Dinge sind drei, mein Junge, komme doch bitte 2015 wieder“. Das werden wir tun – Fortsetzung folgt. (Anmerkung: 2016 gelang es: Überschreitung Hausstock)
Tourdatum: 26. September 2014
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